Böse deutsche Gemütlichkeit
(c) by Kölner Stadt Anzeiger vom 6. Mai 1994

VHS zeigt Halbritters Karikaturen zur Nazi-Zeit -

Parallelen mit der Gegenwart Skizzierte deutsche Gemütlichkeit. Darin ein geschniegelter Biedermann - Spitzbauch, gelecktes Haar mit bläßlicher Gattin. Er steht vor dem Spiegel und nestelt an seiner Fliege. Sie zückt verdutzt Mitgliedskarte-Marke NSDAP aus seiner Anzugsjacke. Der Kommentar zum Bild: "Und da habe ich mir gedacht, warum sollen ausgerechnet wir gegen den Strom schwimmen." Dies ist eine der schonungslosen Milieuschilderungen des Karikaturisten Kurt Halbritter (1924 - 1978). Der bissige Illustrator der Banalitäten des kleinen Mannes vor und nach 1945 hatte selber die Nazi-Zeit erlebt und durchlitten. In der Kölner Volkshochschule am Neumarkt sind noch einmal fünfundzwanzig Reproduktionen seiner Vergangenheitsbewältigung mit spitzer Feder zu sehen (4. Mai bis 25. Mai 1994).

Die Eröffnung war beherrscht vom Ausstellungsmotto "Nur eine Erinnerung?" Neben Kölschrocker Rolly Brings mit Bänd, lieferten Sepp Binder (Bonner Verein 'Gegen Vergessen - Für Demokratie') sowie Hilmar Ankerstein (Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit) und Arzu Toker (Heinrich-Böll-Stiftung) dazu engagierte Beiträge. Es wurde an den von Halbritter dokumentierten braunen Zeitgeist erinnert und Parallelen zur Gegenwart gezogen. Insbesondere Frau Arzu Toker erzeugte bei dem Kreis von Zuhörern mit ihrer lebendigen Schilderung von vorurteilsbefrachteten und diskriminierenden Alltäglichkeiten in der heutigen Republik Betroffenheit. Sie zeigte streitbar die fortdauernde Aktualität von Halbritters graphischer Demaskierung der deutschen Bürgermoral. Leider lädt die die Ausstellungsumgebung nicht zum längeren Verweilen ein. Die Stellwände für die Bilder sind lieblos neben Klo, Paternoster und Treppenaufgang installiert.

Rolly Brings' Kommentar zu dem Durchgangsverkehr während des Eröffnungsabends: "Dat he de Lück hin un her laufe, dat fing ich OK - dat jehöt zom Huus."

(le)