Wenn sich de Famillich triff“"
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FOLKER! Das Magazin für Folk, Lied und Weltmusik – 06. 08 – November-Dezember

LIEDERSÄNGER Seite 24 – 25

Wenn sich de Famillich triff

Rolly Brings

„Ein Leben ohne Musik ist für mich wie ein Leben ohne Brot!“

Geboren 1943. Seemann, Hilfsarbeiter, Maschinenschlosser, Lumpensammler bei Emmaus, Lehrer, daneben immer Gewerkschafter, Musiker, Autor und einer der kritischsten und pointiertesten Mundartliedermacher in Deutschland. Längere Zeit war es ruhig um Rolly Brings – weg vom Fenster war er jedoch nie. Beschäftigt, sein Leben und sein literarisches Schaffen seit den Sechzigerjahren neu zu sichten und sortieren – das ja. Brings ging vor drei Jahren als Lehrer in den Ruhestand. Dieser Übergang in einen weiteren Lebensabschnitt und die Auflösung der damaligen Rolly-Brings-Bänd waren Zäsuren, nach denen der Kölner zunächst einfach nur zur Ruhe kommen wollte.

Von Ulrich Joosten

„Ich bin in einer Herzensanarchiefamilie groß geworden: Staat, Regierung, Parteien und Institutionen wie Kirche usw. waren bei uns Spielbälle des Spottes.“

Nach Konzept-CDs mit kölschen Heinrich-Böll- und Charles-Bukowski-Übertragungen, eigenen antifaschistischen Liedern, einem Album über Bilder im Museum Ludwig sowie einer CD zur 1848er Revolution in Köln war das letzte Projekt vor neun Jahren Logbuch 1 – vertonte Brings-Lyrik auf Hochdeutsch, ehe die damalige Rolly-Brings-Bänd auseinander ging. „Logbuch 1“, erinnert Brings sich, „war zunächst ein Lyrik- und Textband. Die zwölf oder dreizehn Songs, die daraus entstanden, waren für mich sehr wichtig; wahrscheinlich der Versuch, aus einer mir von außen zugewiesenen ’Kölschrolle’ wegzukommen. Ich hatte mich einfach nicht mehr wohlgefühlt, nicht mehr wiedergefunden. Und weil einige der Mitmusiker damals ins Profilager wollten, habe ich das Bänd-Projekt für beendet erklärt.“

„Nachdem lange Zeit etwas in mir wie betäubt gewesen war, kam die Kreativität langsam wieder zurück.“

Doch ein Leben ohne Musik, gesteht Brings, sei für ihn wie ein Leben ohne Brot. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich hatte aber nicht das Ziel, wieder mit einem Programm aufzutreten. Was nicht heißt, dass ich nicht weiterhin privat in der Küche mit meinen Freunden und meinen Kindern musizierte. Je älter ich werde, desto größer wird mein Bedürfnis, allein zu sein, spazieren zu gehen, mit dem Fahrrad zu fahren, die Sonne und das Rauschen des Rheins auf mich wirken zu lassen und den Wind in den Ohren zu haben – und dann entstehen wieder Bilder. Ich habe ganz langsam wieder angefangen, Gedanken zu ordnen, Melodien zu pfeifen. Nachdem lange Zeit etwas in mir wie betäubt gewesen war, kam die Kreativität langsam wieder zurück.“

In der musikalisch kreativen Pause war Rolly Brings als Literat äußerst aktiv, bearbeitete seine gesammelten Texte, brachte sie 2004 in Buchform heraus (Och dat, mi Hätz, es kölsch) und legte zusammen mit Christa Bhatt kürzlich eine Sammlung Kölscher Redensarten vor: Lück sin och Minsche. Als notorischer Tagebuchschreiber hatte der Kölner Chronist seit 1962 kontinuierlich Tausende Redensarten seiner Familie gesammelt und aufgeschrieben. Aus der intensiven Beschäftigung damit entstanden neue Lieder, und die fanden Eingang in die „Küchentisch-Musizierrunde“ mit seinem jüngsten Sohn Benjamin. „Mit ihm habe ich Musik gemacht, seit er eine Gitarre halten konnte. Er hat sich nie gescheut, meine Lieder zu spielen, obwohl er für sich ganz andere Sachen macht. Er hat seine eigene Welt, aber in der Musik haben wir uns getroffen. Inzwischen ist Benjamin von uns allen der beste Instrumentalist überhaupt, spielt Bass, Gitarre, Mandoline, Piano, Schlagzeug –und er findet aus dem Stegreif Zweit- und Drittstimmen – einfach unglaublich!

Irgendwann hat Benjamin vorgeschlagen, Wolfgang Klinger, den Gitarristen der zweiten Rolly-Brings-Bänd-Formation zu fragen, ob er wieder mit uns spielt. Wolfgang hat sofort Ja gesagt. Er ist einfühlsam, wir sind aufeinander eingespielt. Ich gebe ihm eine Melodielinie, spiele sie ihm vor, und eine Woche darauf kommt er mit einem voll ausgearbeiteten Gitarrenpart. Wenn wir heute zusammen spielen, ich mit meinen minimalistischen Künsten und er mit seinen Gitarrenparts, fühlt er sich als Musiker akzeptiert und merkt auch, dass er quasi von der Familie adoptiert ist.“

Neben Wolfgang Klinger gehört Pete Haaser zur neuen Formation. Er war der erste Keyboarder der Rockband Brings – heute spielt er in der Rolly-Brings-Bänd Akkordeon [und Klavier]. „Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen“, sagt Brings, „aber als ich ihn vor vier Jahren fragte, ob er mit uns spielen wolle, hat er zugesagt, und seitdem zählt auch er zur Familien-Bänd. Pete ist ein Künstler auf dem Akkordeon, unglaublich kreativ und einfühlsam. Bei uns findet er seinen Platz und seine musikalischen Räume – er macht richtig gerne mit, seine Parts sind prägend, er ist der Solist bei uns. Pete hat einen wesentlichen Anteil am Gesamtsound der CD Mond-Marie.“

Neben Sohn Benjamin gehört inzwischen auch Brings’ Tochter Maria zur Bänd. „Sie macht mit, obwohl sie voll im Beruf steht und zwei Kinder hat. Trotzdem habe ich irgendwann zu fragen gewagt, ob sie nicht Lust hätte, mit uns Musik zu machen, weil sie eine dermaßen schöne Stimme hat. Heute ist Maria der gute Geist der Bänd, und wenn dann noch meine Söhne Stephan und Peter mitspielen, sofern ihnen ihre eigene Rockband Brings die Zeit dafür lässt, ist es einfach schön, weil ich nie zu erklären brauche, wie ich die Songs haben möchte. Das wissen sie einfach, bringen aber auch ihre eigenen, neuen Elemente ein. Das ist für mich als Vater ein sehr intensiver, spannender und schöner Prozess.“

Das neue Album Mond-Marie ist im Charakter der Songs sehr unterschiedlich und musikalisch dennoch sehr homogen. Brings führt das darauf zurück, dass „wir keine Arrangements gemacht haben, die wir nicht auch hier in der Küche spielen können! Die Produktion, die uns der WDR als Teil unseres Hörspiels ermöglichte, fand zwar im Studio statt, gibt aber im Grunde die Küchensituation wieder. Was ich gut finde, ist, dass meine Söhne, die im Alltag mit Verstärkung und Effekten, mit Schlagzeug und heulenden Gitarren arbeiten, in meiner musikalischen Welt genauso zu Hause sind und sehr differenziert akustisch spielen können.“

Benjamin Brings zeichnet für alle Arrangements verantwortlich, weil er „so ein gutes Gehör und die seltene Gabe hat, seinen musikalisch-gesanglichen Teil einzubringen und dennoch immer die Bänd als Ganzes im Ohr zu haben, überflüssige Sachen zu hören und solche, die man besser ausarbeiten sollte. Er hat leider zur Zeit keine eigene Band, denn seine Messlatte für Mitmusiker liegt verdammt hoch! Ich weiß nicht, ob ich bei ihm genommen würde.“

Die Liedauswahl der CD Mond-Marie wurde durch die Sprüche der Familie, die Rolly Brings über Jahrzehnte sammelte, stark beeinflusst. In fast jedem Liedtext ist irgendein Spruch enthalten. „Ich bin in einer Herzensanarchiefamilie groß geworden: Staat, Regierung, Parteien und Institutionen wie Kirche usw. waren bei uns Spielbälle des Spottes. Aber für den einzelnen Menschen war sehr viel Mitgefühl und Verständnis da. Institutionen, die uns einfachen Leuten mit Machtansprüchen entgegentraten, wurden bei uns – das habe ich mit der Muttermilch eingesogen – abgelehnt. Meine Familie besaß tiefe Frömmigkeit, christlich nach Matthäus: ‚Er kam zu Dir und hat Hunger gehabt, Du hast geteilt. Du machtest ihn satt – den Menschensohn.’ Das sind Sprüche meiner Mutter, meiner Oma und meiner Tanten. Das Matthäus-Evangelium auf Kölsch. Das ist bei uns Richtschnur gewesen.“

Die Produktion der neuen CD Mond-Marie wurde vom WDR ermöglicht, weil die Musik für das Hörspiel Vun wem ich et han: Et Flöstere vun dä Ahle / Von wem ich es habe: Das Flüstern der Alten“ benötigt wurde, das aus Sprüchen des neuen Brings-Buches Lück sin och Minsche entstand. Doch der Fundus an Sprüchen reicht weiter, so der Sammler: „Beim Durchsehen habe ich alle Sprüche zur Kölner Stadtgeschichte aussortiert – damit kann ich locker zweitausend Jahre Stadtgeschichte abdecken, und zwar quer zum akademischen Geschichtsdiskurs, nämlich Geschichte von unten. Es wird ein neues Buch entstehen, und es ist natürlich klar, dass bei zweitausend Jahren Köln-Geschichte, vorsichtig geschätzt, zwölf bis fünfzehn Songs abfallen werden. Ich schätze, dass es dann wieder ein Hörspiel geben wird mit diesen Sprüchen, in das Musik einfließt, und dass wir dann in zwei, spätestens zweieinhalb Jahren die nächste Brings-Familien-CD haben werden. Nicht nur 1848 vun unge, sondern auch Kölle vun unge.“

Mond Marie - Rolly Brings

ROLLY BRINGS & BÄND
Mond-Marie

(Westpark Music CD 870070, www.westparkmusic.de)

16 Tracks, 68:37, mit kölschen Texten und hochdeutscher Übertragung

Kaum jemand versteht es wie Rolly Brings, die kölsche Seele so pointiert und liebevoll-kritisch zu porträtieren und mit seinem Dialekt in metaphorische Bilder, Szenen und Stimmungen umzusetzen. Und Brings ist immer dann am besten, wenn er die liebenswerten, schrägen Typen, die Loser und die Bekloppten besingt, die seine Stadt hervorbringt, oder die liebenswerten, aber auch die negativen Seiten des kölschen Milieus. Die Texte werden von der exzellent arrangierten und eingespielten Musik melancholisch bis beschwingt untermalt, die vom Barblues, Chanson bis zum Akustik-Rock reicht. Mit „Nubbeldanz“ und „Knollendorf“ findet man sogar zwei durchaus karnevaltaugliche Songs jenseits von Kölschtümelei; letzterer könnte durchaus der Feder eines Willi Ostermann entstammen.

Mond-Marie ist für mich Rolly Brings’ beste Platte seit Minsche und 1848 vun unge.

Ulrich Joosten

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