Helden in schwerer Zeit
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WELT AM SONNTAG NR. 48 – 30. November 2008 – NRW 15

Helden in schwerer Zeit

Vier Kölner gehören zu den letzten Überlebenden der Widerstandsgruppe „Edelweißpiraten“.

Am 3. Dezember wird ihnen in Düsseldorf die Heine-Büste verliehen.

Von Regina Goldlücke

„Am Anfang waren wir Spitzbuben“, sagt Jean Jülich, „keiner von uns konnte damit rechnen, eines Tages in der Bel Etage anzukommen.“ Triumphgefühle schwingen in seinen Worten nicht mit. Dafür hat der 81-Jährige als junger Mann zu sehr gelitten. „Man hat uns verunglimpft, gejagt und mit dem Tode bedroht. Und nach dem Krieg gab es noch immer keinen Frieden. Da wurden wir als Widerstands-Schmarotzer verhöhnt.“

Im Nazi-Deutschland stieß der in Köln „Schäng“ ausgesprochene Jean zu den Edelweißpiraten, einer eher zufällig zusammengewürfelten Gruppe von Jugendlichen aus verschiedenen Stadtteilen. „Wir nahmen unsere Gitarren, zogen hinaus an die Badeseen und sangen Fahrtenlieder. Etwas anderes steckte zunächst nicht dahinter“, versichert Jean Jülich. „Nein, politische Absichten hatten wir damals nicht“, beteuert Gertrud Koch, auch sie einst Mitglied der „Edelweißpiraten“. „Erst als der braune Terror immer schlimmer wurde, beschlossen wir, etwas zu unternehmen“, sagt sie, die nun mit drei anderen in Düsseldorf mit der „Heine-Büste“ geehrt wird.

Was die bunte Truppe verband: Die meisten kamen aus Arbeiterfamilien, viele standen dem Kommunismus nahe, alle verabscheuten sie das Nazi-Regime.

Fritz Theilen hatte sich 1942 angeschlossen, nachdem er wegen Befehlsverweigerung aus der Hitler-Jugend geflogen war. Mit ihrem Freund Wolfgang Schwarz gehören die drei Kölner zu den letzten überlebenden Edelweißpiraten. Jeder hat seine Erfahrungen in einem Buch verarbeitet und ist noch immer ein gefragter Gast bei Vorträgen und Diskussionen, vor allem in Schulen. Die gebannt lauschenden Jugendlichen stellen sich das Treiben der Kölner Rebellen meist vor wie ein einziges Abenteuer. „Das stimmt ja teilweise auch“, bestätigt Jean Jülich, „aber irgendwann war die Zeit des Lachens vorbei“. Aus Spiel und Schabernack wurde blutiger Ernst. Man setzte die gemeinsten Schergen der Gestapo auf die Jungen und Mädchen an, verfolgte und misshandelte sie und trieb sie damit zwangsläufig immer mehr in Opposition und Untergrund. Waren die Edelweißpiraten Helden? Jean Jülich schwächt ab: „Wenn man mich fragt, ob ich es wieder tun würde, weiß ich keine Antwort. Unsere Aktionen kamen aus dem Bauch heraus. Wir spürten einfach, da läuft etwas falsch, das müssen wir ändern.“ Wer sich bei politischen Aktionen und der Verteilung von Flugblättern erwischen ließ oder sich für Juden einsetzte, wurde eingesperrt. Sechs ihrer Kameraden hat man am Galgenplatz in der Ehrenfelder Schönsteinstraße öffentlich aufgehängt, heute erinnert dort eine Ehrentafel an die Ermordeten. Manche hatten Glück und konnten fliehen. Wie Gertrud Koch, Tochter einer Apothekerin und eines altkommunistischen Kesselschmieds, der als „Moorsoldat“ im KZ Torf stechen musste. „Mucki“, so der Deckname der Montessori-Kinderhortnerin, wurde verraten, widerstand Folter und Schlägen im Gestapogefängnis Brauweiler. Als sie 18 war, konnte sie nach neun Monaten Haft fliehen und bis 1945 untertauchen. Natürlich hat sie um ihr Leben gezittert, sagt sie, „wenn man Mut hat, hat man auch Angst“. Jean Jülich, dessen kommunistischer Vater seit 1933 im Zuchthaus saß, musste unter schlimmsten Bedingungen im Brauweiler Gefängnis ausharren, bis die Amerikaner kamen. Fritz Theilen konnte aus einem Lager im Hunsrück flüchten, wurde geschnappt, in Dachau interniert und entkam erneut. Nach Kriegsende kehrten die drei ins zerbombte Köln zurück und versuchten irgendwie Fuß zu fassen. Niemand dachte in dieser schweren Zeit, in der es nur ums Überleben ging, an eine Zusammenführung der versprengten und zerstrittenen „Edelweißpiraten“. Erst Jahrzehnte später erinnerte man sich der Gruppe. Ihre Fürsprecher wollten sie als politisch Verfolgte angemessen gewürdigt wissen, ihre Gegner brachten sie als „kriminelle Bande“ in Misskredit. „Nie hätte ich geglaubt, mich eines Tages für meine Zugehörigkeit rechtfertigen zu müssen“, sagt Fritz Theilen, der mehrere Verleumdungs-Prozesse führte und gewann. Aus Jean Jülich wurde ein hoch geachteter Kölner Kneipier und Karnevalist. Auch er musste sich gegen Denunzianten wehren – bis ihm 1984 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem die Ehrung „Gerechter unter den Völkern“ zuerkannt wurde. Es dauerte 60 Jahre, bis die Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer anerkannt wurden. Der Festakt im Juni 2005 war für Koch „die Krönung meines Lebens“.

Vergessen haben die Kölner die tapfere Gruppe nicht. Jeden Sommer versammeln sich 7000 meist jugendliche Anhänger bei einem Fest im Friedenspark. Für die „Bläck Fööss“ schrieb Rolly Brings das „Edelweißpiratenlied“. An jedem 10. November ist es Kernstück einer beeindruckenden Veranstaltung mit viel Prominenz an der einstigen Hinrichtungsstätte. Nun zieht der Düsseldorfer Heine-Kreis mit seiner Ehrung nach. In des Dichters Sinn habe die Gruppe durch ihr unangepasstes und oppositionelles Verhalten im Nazi-Regime aktiven Widerstand geleistet, heißt es in der Begründung.

Die späte Ehrung nehmen die vier gerne an. Aber nun, meinen sie, sei es allmählich gut. Der zähe Kampf hat sie viel Kraft gekostet. „So langsam werden wir ein bisschen müde und ziehen uns zurück“, kündigt Jean Jülich an. Richtig glauben mag man es dem quicklebendigen Kölner nicht.

Text im Kasten zum Foto von Claudia Ast:

Jean Jülich, Gertrud Koch und Fritz Theilen (v. l.) sind drei der letzten Edelweißpiraten

Einsame Piraten ehrenhaften Widerstandes

Provokantes Verhalten

Die Edelweißpiraten lehnten die Vereinnahmung bisher freier Jugendgruppen durch die Jugendorganisationen der Nazis ab. Ihr Name war eine Mischung aus Ironie und Geschichte, die Blume Symbol der 1936 verbotenen Bündischen Jugend. Die Edelweißpiraten, größtenteils Arbeiterkinder im Rhein-Ruhr-Gebiet, lehnten die totalitären Strukturen und Denkverbote der Hitlerjugend ab und traten für ihre ganz eigenen Werte ein.

Ihr unangepasstes Verhalten mit verbotenen Fahrten und Zeltlagern provozierte die Gestapo.

Mehrere Tausend Mitglieder

Schätzungen zufolge kamen die Edelweißpiraten, die größte oppositionelle Jugendbewegung, auf mehrere Tausend Mitglieder im gesamten Reich. Großen Einfluss konnten sie aber leider nie erreichen, und viele bezahlten ihr Tun mit dem Leben.

Text unter dem Foto von 3Rosen/Cinetext:

Der Film „Edelweißpiraten“ von 2004 erzählt eine wahre Geschichte von jungen Kölnern, die zunächst nur aus Jux gegen die Nazis aufbegehrten.

[Fotos von Michael Maye zur Anerkennung und Ehrung 2005 sowie zu den letzten Veranstaltungen am 10. November unter:

www.rollybrings.de (Bilder) bzw. www.michaelmaye.de]

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