Keine Eigenproduktion
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V.Flora Jörgens, 50997 Köln, P’Tag: 4.3.2011

 

KEINE EIGENPRODUKTION!

Musikbox bei WDR 5

Red. Gesa Rünker

"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", Sendedatum: 2.4.2011,

Sendung: „Kleine Helden“


Anmoderation:


Musik kann viel – manchmal auch aus Kindern kleine Helden machen.

In unserer Reihe Musikbox erzählt der Kölner Musiker Rolly Brings wie.

Er ist Vater von mittlerweile erwachsenen Kindern, die auch Musiker und damit sogar recht erfolgreich geworden sind.

Rolly Brings hat auch einen Kölner Stadtführer – coLOGneBUCH II - geschrieben mit wunderbar poetischen Texten und Fotos [von seinem Freund Michael Maye], mit denen eine Ausstellung ab dem 14.4. im Kölnischen Stadtmuseum zu sehen sein wird („Mein Köln“).

Hier nun aber seine Geschichte zu einem Lied, das ihm Mitte der 60er Jahre im Pädagogikstudium ein neues [vertrautes] Weltbild geliefert hat.


Beitrag (startet mit nur Intro: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ , 0:09 min.

O-Ton Rolly Brings:

Das ist Franz-Josef Degenhardt „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, 1965, im Jahr der Geburt meines zweiten Sohns heraus gekommen und innerhalb von ein paar Wochen gehörte es zum Familienrepertoire. Das bedeutete für mich - meine Kinder waren in ihren drei Zimmerchen, hatten die Türen auf; ich saß mit meiner Gitarre im Flur – dass ich abends immer ein Wunschlied singen musste, damit sie einschliefen. Und bei Stephan und Peter war das ganz oft „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“; meine Tochter Maria war damals noch zu klein, die hat den Text nicht verstanden (?), aber fand die Melodie einfach schön.“

Text:

Das Lieblingslied von Rolly Brings und seinen Kindern in Köln platzt in eine Zeit, in der jungen Menschen vor allem zu gehorchen haben. Die Mädchen knicksen, wenn sie artig der Tante die Hand geben, die kleinen Jungs machen einen Diener. 1965 erscheint die zweite LP des Liedermachers Franz-Josef Degenhardt, als Deutschland gerade arm an Helden und - Liedermachern ist. Degenhardt, gebürtiger Schwelmer und promovierter Rechtsanwalt, haucht der Figur des Bänkelsängers oder mehr noch des vagabundierenden Poeten wieder Leben ein. Die Nationalsozialisten haben das deutsche Volkslied vielfach missbraucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es deshalb still in Deutschland. Es herrscht überall Ruhe, die ehemaligen Nazis sitzen noch in den Institutionen hinter den Kulissen der Macht. Degenhardt beobachtet Kabarettisten, nämlich Wolfgang Neuss und Hanns Dieter Hüsch, die ihre Prosageschichten zuweilen mit Musik unterlegen. Das geht über die Art des „Talking Blues“ hinaus, allein schon deshalb, weil die Geschichten nicht amerikanisch, sondern deutsch sind. Ebenfalls im dritten Reich mundtot gemacht waren die Reformpädagogen.

Erst 1969 wird Alexander Sutherland Neills Buch „Die antiautoritäre Erziehung“ veröffentlicht. 4 Jahre zuvor also erscheint „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Rolly Brings, der später ebenfalls erfolgreiche Musiker, damals gelernter Maschinenschlosser, absolviert zu dieser Zeit ein Pädagogikstudium in Köln.

O-Ton Rolly Brings:

Über Degenhardts „Schmuddelkinder“ habe ich als Student im Pädagogikseminar 1967 ein Referat gehalten, und da haben wir zwei Tage drüber diskutiert.“

Text:

So sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor“ Degenhardt beginnt seine Strophe mit einer Text-Anspielung. Es scheinen die Belehrungen des 1845 erschienenen Bilderbuchs „Struwwelpeter“ durch: „Konrad, sprach die Frau Mama, ich geh aus, und Du bleibst da“ - wo den Kindern schlimmstes Ungemach widerfährt, wenn sie nicht den Befehlen der Eltern Folge leisten. Aber: der Sohn in Degenhardts Ballade scheitert, weil er sich den Anweisungen der Erwachsenen beugt. Zuerst wird er zwar wie gewünscht ein erfolgreicher Sadist, dann aber ein mittelloser, geistig verwirrter Pädophiler.

O-Ton Rolly Brings:

Kam sein Sohn der Nägelbeißer abends spät zum Mahl“ – in diesem „Nägelbeißer“ ist schon das ganze Dilemma einer verpfuschten Kindheit drin, mit Zwangsneurose und allem. Das schafft der mit einem Wort, der Kerl. Keiner schreibt wie Degenhardt, keiner singt wie Degenhardt, keiner macht so Melodien; der Mann ist wirklich solitär, der ist einmalig.“

Text:

Linksruck bei Degenhardt Ende der 60er Jahre. Er singt „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf“, eine Zeile, die er später selbst für Krampf hält und zurück nimmt. Damals erntet der Liedermacher Ablehnung und Hass. „Rote Wanze“, „Gaskammer für Degenhardt“ so geifern die Rechten. Die Linken beschimpfen ihn als „Kleinbürger, Spießer, der mit der Klampfe Politik“ macht – alles Anschuldigungen, die Degenhardt dann wieder zu einem seiner gelungensten und witzigsten Texte verdichtet.

Mutter Mathilde, eine frühere Wirtin, der er einen Song widmet, wundert sich über seine gute Laune: ein Jurist, der solch strahlende Augen hat und Menschen so gut beobachtet.

Das schätzt auch Rolly Brings an Franz-Josef Degenhardt.

O-Ton Rolly Brings:

„Wie ein Maler mit ein paar Pinselstrichen, wenn er mit ein paar Versen ein Szenario entwirft, das einem so bekannt vorkommt. Ich fand ihn sehr wirkungsvoll und zum Nachdenken anregend, wenn er absolut lyrisch war. Und zwar hatte er so ne ganz schwarze Romantik. Zum Beispiel gibt’s da den „Bahndamm, wo der Zug verkehrt, der von Schilda nach Schlaraffia fährt, wo Kinder ihre Höhlen bauen, wenn sie sich nicht nach hause trauen“. Dat sind Bilder, die gehen ja gar nicht mehr aus dem Kopp. Und dat Schöne ist, das hab ich ja mit meinen Kindern , als die zwischen 6, 7, 8 Jahre alt waren, dat haben wir ja gelebt. Ich hab damals im Kölner Westen gelebt, und da war ein Schuttfeld mit Bahndamm; und wir hingen jeden Tag da. Wir haben Degenhardt richtig gelebt. Eigentlich war das Gelände verboten, ich hab auf meine Kinder auch immer schwer aufpassen müssen. Wir haben dort Cowboy, Indianer und Rumpelstilzchen und Grimms Märchen gespielt, und von da aus hatten die Kinder einen direkten Zugang zu Franz-Josef Degenhardts Texten gehabt.“

Musik: Intro noch einmal 0:09 min.

O-Ton Rolly Brings:

„Das war ihr Alltag, das fanden meine Kinder normal; schön anarchisch alles: Lagerfeuerchen machen und so, dat fanden die ganz toll.“

Text:

Später nehmen sich die Kinder Musik-Instrumente, Benjamin Brings spielt heute bei Papallapap und Peter und Stephan nennen sich schlicht Brings. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, aufgegriffen von Post-Punkern und Hip Hoppern, wird immer aktuell bleiben. Das Lied von 1965 hinterlässt Spuren, die selbst die neuen Spießer, als Reformer der Reformpädagogik angetreten, nicht mehr wegwischen können. Denn es macht aus Kindern, die zuhören, kleine Helden.

Wortende 5:52 min.

Musik beginnt:

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern – Franz-Josef Degenhardt 5:00 min

(Degenhardt), LC 05197, Bear Family BCD 16905CP

Archiv-Nr. 5830777.202

Gesamt: 10:43 min.


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