Gedächnisfeier erinnerte an ermordete Sinti und Roma
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big Magazin – HISTORIE – Ausgabe 2-2014 – Nr. 86 – Seite 34 / 35

Gedächtnisfeier erinnerte an ermordete Sinti und Roma

In Bickendorf befand sich ab 1935 das erste deutsche Internierungslager für "Zigeuner"

Heute erinnert eine unscheinbare weiße Blechtafel hinter der Eisenbahnbrücke über die Venloer Straße an ein Verbrechen, das hier seinen Anfang hatte.
Der hier gelegene ehemalige Schwarz-Weiß-Sportplatz diente ab Mai 1935 als erstes städtisches "Zigeunerlager" im Dritten Reich.
Schon vor dem Jahr 1933 wurde in Köln überlegt, die umherziehenden "Zigeunerfamilien" auf einen Platz zu konzentrieren und sesshaft zu machen.
Die Nazis taten alles, die ungeliebten "Zigeuner" zu kriminalisieren und sie in ihrer Lebensweise immer weiter einzuschränken.
Für sie waren "Zigeuner" Asoziale und Kriminelle, die es auszumerzen galt.
Die meisten Volksgenossen empfanden es als gerecht, dass die andersartigen "Zigeuner" im Jahr 1935 in ein Lager eingewiesen wurden.
Alle "Zigeunerfamilien", auch solche, die in Wohnungen lebten, wurden gezwungen, in zwei alten Baracken beziehungsweise baufälligen Wohnwagen zu hausen.
Bis zu acht Personen waren in den circa neun Quadratmeter großen Wagen zusammengepfercht.
Pro Monat und Behausung verlangte die Stadt sechs Deutsche Reichsmark.
Wer nicht zahlte, dem drohte die Abschiebung aus Köln.
Für mehr als 50 Familien mit mehr als 500 Menschen standen zehn einfache Aborte zur Verfügung.
Das gesamte Lager war mit einem zwei Meter hohen Stacheldrahtzaun umgeben.
Neben der mit einer Kette verschlossenen Eingangstür stand die Wohnbaracke des Lagerkommandanten, einem SS-Mann, und seiner Familie.
Wer seinen Anweisungen nicht sofort Folge leistete, wurde angeschrien und geschlagen oder mit der Waffe bedroht.
Als die Frau des Lagerkommandanten einmal die Kripo und die Ehrenfelder Polizei zu Hilfe rief, sorgten diese dafür, dass das "Zigeunerlager im Nu einem Musterstaat der Ordnung und des Friedens glich", jubelte am 30. November 1936 das Naziorgan "Der Westdeutsche Beobachter".
Das Lager durfte nur mit Genehmigung verlassen oder betreten werden.
Da die Stadt Köln den Lagerinsassen jegliche Fürsorgeleistungen gestrichen hatte, waren alle arbeitsfähigen Männer gezwungen, beim städtischen Fuhrpark und auf dem Militärflugplatz Butzweilerhof zu arbeiten.
Statt Geld gab es Naturalien.
Wer sich weigerte, unter diesen Bedingungen zu arbeiten, wurde wegen "asozialen Verhaltens" verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht.

Das an Sinti und Roma begangene Unrecht:
Verzeihen ja, vergessen niemals.
(Rolly Brings)

Oft waren die Eingesperrten plötzlich durchgeführten Razzien ausgesetzt.
Am 2. Juli 1937 berichtete der Westdeutsche Beobachter: "Durch scharfe und durchgreifende Maßnahmen wurden mit der Zeit alle unliebsamen Auswüchse beseitigt."
Am 14. Juni 1938 führten die Kriminalpolizei und Beamte des Polizeireviers Ehrenfeld gemeinsam die "Aktion Arbeitsscheu Reich" durch.
Dabei trieben sie alle Männer auf LKW und brachten sie zum Polizeipräsidium in die Krebsgasse.
Dort wurde entschieden, wer in Vorbeugehaft genommen und in ein KZ verbracht wurde.
Bei einem Geiger reichte das Fehlen des Ausweises der Reichsmusikkammer für die Einweisung.
Ende 1937 erschien eine Arbeitsgruppe der "rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle" unter der Leitung von Nervenarzt Robert Ritter, um an den Lagerinsassen umfangreiche Untersuchungen vorzunehmen, die als Blutspende getarnt und mit einer Reichsmark entschädigt wurden.
Tatsächlich diente diese Aktion der menschenverachtenden Rassenlehre der Nazis, die in den "Zigeunern" genetisch bedingte Asoziale sah und bis zu einem Viertel "Zigeunermischling" unterschied.
Anfang 1938 führten die "Rassenforscher" ein weiteres Mal eine rassebiologische Untersuchung durch.
Nach Kriegsbeginn [1939] wurde in Berlin die Deportation aller Juden und Zigeuner beschlossen.
Die Dienststelle der Kölner Kripo für Zigeunerfragen stellte die Deportationslisten zusammen.
Am frühen Morgen des 16. Mai 1940 wurde der Schwarz-Weiß-Platz weiträumig von mehreren Hundertschaften der Schutzpolizei umstellt und die Lagerinsassen aufgefordert, sich innerhalb einer Stunde mit Handgepäck auf dem Versammlungsplatz einzufinden.
Um die verängstigten Menschen zu beruhigen, versprach man ihnen, sie im Osten vor den Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen.
So gab es keinen Gegenwehr.
Mehr als 400 "Zigeuner" wurden mit LKW in die Deutzer Messehallen gebracht, wo sie entlaust, kahlgeschoren und mit Nummern tätowiert wurden.
Mit 600 anderen Roma und Sinti aus dem Rheinland wurden sie am 21. Mai 1940 in die Arbeitslager im Osten deportiert, darunter die kleine Anna Lina Laubinger, die mit fünf Jahren im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde.
SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte Ende 1942 die Ermordung aller noch lebenden Sinti und Roma angeordnet.
Heute erinnert in Bickendorf [der Laubingerweg] an das kleine Mädchen – stellvertretend für viele andere.
Nur wenige deportierte "Zigeuner" überlebten den nationalsozialistischen Terror und kamen nach dem Krieg nach Köln zurück.
Ihre Wohnwagen und Baracken fanden sie nicht mehr vor, da sie nach ihrem Abtransport verbrannt worden waren.
Die Stadtverwaltung wies den Überlebenden das Gelände des ehemaligen Internierungsplatzes zu, wie Kurt Holl, der Vorsitzende des Rom e. V., auf der Gedenkfeier am 16. Mai 2014 erwähnte.
Auf Drängen einiger Bickendorfer, denen das "Zigeunerlager" ein Dorn im Auge war, wurden die Sinti 1958 in Köln-Roggendorf in ausrangierten Eisenbahnwaggons untergebracht.
Ironie der Geschichte:
Eisenbahnwaggons brachten sie in die Vernichtungslager, Waggons dienten ihnen nun als Unterkunft.
Auch Rolly Brings erinnert sich an die Bürgerinitiative in Bickendorf, die dafür sorgte, dass der "Schandfleck" aus ihrem Wohnort verschwand.
"Die Zigeuner wurden 1949 zu 'Staatenlosen' erklärt. Eine Anerkennung als Opfer des Faschismus, geschweige eine Wiedergutmachung, unterblieb", sagte Rolly Brings in seiner Rede.
Unter den "Waggonkindern", die Rolly Brings damals als Lehrer unterrichtete, war auch der heutige Musiker Markus Reinhardt, der mit seinem virtuosen Spiel auf der Geige zur Gedächtnisfeier für die ermordeten Sinti und Roma beitrug.
Unterstützt wurde er dabei von Angelina, Teilnehmerin an seinen Workshops, mit denen er die Kultur der Sinti und Roma erhalten will.
Vor circa 120 Personen stellte Bezirksbürgermeister Josef Wirges einen Bezug zwischen dem Schicksal der Sinti und Roma damals und der unwürdigen Wohn- und Lebenssituation der Bürgerkriegsflüchtlinge in Köln heute her.
Eine Hinweistafel am Bahndamm erinnert an das Unrecht, das Sinti und Roma vor 74 Jahren angetan wurde.
Ob sie dem Ausmaß des Verbrechens gerecht wird, darüber sollten Lokalpolitiker, Bürger und Rom e. V. miteinander sprechen.

Hans-Ulrich Voosen

(Literatur: Karola Fings / Frank Sparing: "Rassismus, Lager, Völkermord" Emons Verlag 2005)

[Texte unter den Fotos von Hans-Ulrich Voosen und Bundesarchiv]:
Gedächtnisfeier erinnert an ermordete Sinti und Roma
Romalager am Schwarzweißplatz
Razzia im Romalager

 

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