Von den Nazis in den Tod geschickt
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Kölner Stadt-Anzeiger – QUER DURCH KÖLN – Donnerstag, 28. Mai 2015 – Seite 30

Von den Nazis in den Tod geschickt

HOLOCAUST – Vor 75 Jahren wurden 1000 Sinti und Roma in die Vernichtungslager deportiert – Gedenken mit Musik von Markus Reinhardt

VON SUSANNE ESCH

[Bickendorf]. So muss sie geklungen haben, die Begleitmusik zum Marsch der Menschen in den Tod.
Markus Reinhardt spielt auf der Geige eine temperamentvolle Melodie – die grauen Betonmauern der Unterführung an der Matthias-Brüggen-Straße im Rücken.
Die Nazis hätten den Zigeunern in den Konzentrationslagern befohlen, etwas Fröhliches zu spielen, erzählt Reinhardt.
Wenn die Viehwaggons mit neuen Häftlingen ankamen, sollte die Musik über den Schrecken hinwegtäuschen, der sie erwartete.
Reinhardt ist Kölner, ein bekannter Musiker und Sinti.
Heute spielt er mit seinem Ensemble *) und Rolly Brings nebst Bänd **) für die Menschen, die gekommen sind, um daran zu erinnern, was vor 75 Jahren an diesem Ort in [Bickendorf] geschah.
Am 16. Mai 1940 wurden 1000 Kölner Roma und Sinti vom Sportplatz des Vereins Schwarz-Weiß Köln aus, der sich in unmittelbarer Nähe der Bahn-Unterführung an der [heutigen] Matthias-Brüggen-Straße befand, verschleppt.
Per LKW wurden sie quer durch die Stadt zum Außenlager des KZ Buchenwald an der Messe verfrachtet.

„Nach der Befreiung ist meine Oma zu Fuß von Polen nach Köln zurück gelaufen.“
Ingold Reinhardt

Sie mussten sich ausziehen, wurden untersucht und am Bahnhof Deutz wie Vieh auf die Waggons verladen, die in Richtung Osten fuhren, nach Auschwitz, Bergen-Belsen, ins Warschauer Ghetto.
Die meisten kamen nicht zurück – Markus Reinhardts Eltern schon.
„Nach der Befreiung ist meine Oma zu Fuß von Polen nach Köln zurück gelaufen“, erzählt Ingold Reinhardt, der Bruder von Markus, bei der Gedenkveranstaltung.
Auch andere Sinti und Roma haben verzweifelt ums Überleben gekämpft.
Als die Gefangenen im „Zigeunerlager“ des KZ Auschwitz-Birkenau gewarnt wurden, dass am nächsten Tag das Gas auf sie warte, bewaffneten sie sich mit Stöcken, Schaufeln und Messern, die sie sich aus Blech geschliffen hatten, und setzten sich zur Wehr.
Sie konnten die SS zum Abrücken bewegen.
Es war ebenfalls im Mai, im Jahr 1944.
Der Aufstand bewirkte allerdings nur einen kurzen Aufschub.
Der Mord fand ein paar Monate später statt.
In der Nacht vom 31. Juli zum 1. August 1944 wurde das Zigeunerlager endgültig „liquidiert“.
Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Josef Wirges möchte nicht nur an die Ereignisse erinnern, die in der Vergangenheit liegen.
Es sei auch heute noch wichtig, sich zur Wehr zu setzen, gegen den tagtäglichen Rassismus, gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von Andersdenkenden und Andersaussehenden, sagte er.
Wirges berichtet von seinen alltäglichen Erfahrungen:
„Oft bekomme ich bei Informationsveranstaltungen anlässlich der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften von Besuchern zu hören, sie hätten ja gar nichts gegen die Flüchtlinge, bezweifelten aber, dass baurechtliche Vorschriften eingehalten worden seien.
Dann drängt sich mir der Eindruck auf, sie trauen sich einfach nur nicht zu sagen, dass sie fremde Menschen nicht in ihrer Nähe haben wollen.“
Und auch Kurt Holl vom Verein Rom e. V. mahnt:
„Die Ausgrenzung ist noch nicht vorbei.
Und wenn wir uns nicht wehren, geht es weiter.“
Gegen die Diskriminierung hilft Verständnis der Kultur der Sinti und Roma, das einige engagierte Menschen wecken möchten:
„Wir haben einen Verein gegründet mit dem Namen Maro Drom.
Das bedeutet auf Deutsch „Unser Weg“.
Ziel ist, die Kultur der Sinti und Roma den Menschen näher zu bringen“, erzählt Ingold Reinhardt den Besuchern – während sein Bruder noch eine letzte melodiöse temperamentvolle Zigeunerweise spielt.

[Text unter dem Foto von ESCH]:
Rolly Brings (links) spielt mit Markus Reinhardt (hinten), Bänd und Sohn Stephan (hinten rechts).
  *) Janko Wiegand; Gast: Angelina Reinhardt
**) Wolfgang Klinger, Helmut Kraus, Klaus Strenge; Gast:
      Stephan Brings

4 FRAGEN AN: Kurt Holl

Rom e. V. beklagt nach wie vor Diskriminierung
Verein setzt sich für die Roma in Köln ein

Herr Holl, wie war die Situation für die überlebenden Sinti und Roma, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Konzentrationslagern nach Köln zurückkamen?
Sie haben zunächst im Grüngürtel in Hütten kampiert, bis die Nachbarn sagten, sie müssten weg.
Dann hat derselbe Architekt, der 1935 für den Bau des Internierungslagers auf dem Schwarz-Weiß-Platz verantwortlich war, dafür gesorgt, dass sie wieder dorthin kamen.
Wie hat sich die Lage in Köln in den folgenden Jahrzehnten verändert?
In den späten 50er Jahren hat die Stadt zwei Siedlungen für Sinti gebaut, freilich ziemlich isoliert und abgelegen.
Bis in die 60er Jahre wurde den Roma und Sinti Entschädigung für die erlittene NS-Verfolgung verweigert, mit dem Argument, das wäre keine Rassenpolitik gewesen, sondern nur Kriminalpräventation.
Der fortdauernde Antiziganismus in Köln wurde wieder massiver, als seit Ende der 70er Jahre und dann seit den Balkankriegen viele Roma, besonders aus Jugoslawien, hier Zuflucht suchten.
Sie wurden in maroden Unterkünften untergebracht und ihnen wurde oft Sozialhilfe verweigert.
Was hat der Rom e. V. dagegen unternommen?
Der Rom e. V. hat seit seiner Gründung viele Erfolge erzielt.
Wir konnten Bleiberechte für viele Menschen erstreiten, später wurde unsere Arbeit durch einzelne Ämter unterstützt.
Vor zehn Jahren konnten wir mit Hilfe von Hedwig Neven DuMont und ihres Vereins „wir helfen“ die Vorschule für Romakinder, Amaro Kher, gründen.
In Amaro Kher und mit unserem neuen Projekt Amen Ustha zur Bildungsförderung von Roma Kindern und Jugendlichen versuchen wir, Kinder auf die Regelschule vorzubereiten und sie in den Regelschulen zu unterstützen.
Werden die Angehörigen der Volksgruppen noch heute diskriminiert?
Diskriminierung zeigt sich für uns vor allem darin, dass viele Roma weiterhin nur geduldet werden statt ein Bleiberecht zu erhalten.
Die Mehrzahl der Kinder aus der Minderheit wird auf Sonderschulen abgeschoben, das gilt für rund 80 Prozent.

Kurt Holl, geboren 1938, ist ein politisch und sozial engagierter Pädagoge und seit 2011 Alternativer Kölner Ehrenbürger.
Um Sinti und Roma zu unterstützen, gründete er 1987 mit anderen Kölner Bürgern die „Kölner Roma-Initiative“, aus der 1988 der Verein Rom e. V. mit seinen Initiativen zur Förderung von Roma-Familien hervorging.

[Text unter Foto von ESCH]:
Kurt Holl sprach beim Gedenken.

 

 

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