Kölsch? Ich lerne immer noch dazu
(c) EXPRESS-Serie: Mer schwade Kölsch (8. Folge)
Von Rolly Brings

Die Wurzeln der gesprochenen Sprache Kölsch reichen weit ins achte Jahrhundert. Kölsch war die Sprache der Handwerker, Bauern und Händler der alten Stadt und des Umlandes. In dieser Sprache wurden Dinge des Alltags, Werkzeuge, Haushaltsgeräte und die dazugehörigen Tätigkeiten, aber auch Gefühle und Gedanken benannt.

Das Vokabular war gering, reichte aber völlig aus, um sich die Welt, in der man lebte, zu erschließen. Komplexe Zusammenhänge wurden und werden heute noch in Sprachbildern ausgedrückt, deren Bildhaftigkeit die Erfahrungen vieler Generationen bewahren und weitergeben.

Kölsch war gesprochene Lebenssprache. Sicher, auch das Kölsch unserer Vorfahren unterlag Wandlungen. Neue Zustände und Dinge verlangten neue Wörter. Bewohner in Stadt und Umland, beispielsweise die Mitglieder der alten jüdischen Gemeinde Kölns, die Händler aus fernen Ländern, Eroberer und Besatzer wie die Truppen Napoleons hinterließen Spuren in der kölschen Sprache. Der Ritus der katholischen Kirche, der Kirchenkalender und die 5. Jahreszeit, der Fasteleer mit seinen Liedern und Sprüchen - all diese typisch kölschen Institutionen integrierten und tradierten kölsche Lebenserfahrungen, aufgehoben in kölscher Sprache.

Kölsch hat eine eigentümliche Spannung von einer archaischen, in vielen Variationen gesprochenen Regionalsprache inmitten des globalen Dorfes Welt, in dem Köln ein liebenswerter Klecks ist. Mein Kölsch wurzelt im bäuerlich geprägten Vörjebirchsplatt meiner Mutter und im Neppeser Platt meines Vaters. In beiden Familien war die jeweilige Kölschvariante tägliche Umgangssprache mit all ihren heute verlorengegangenen Vokabeln.

Hörte ich ein Wort, das ich nicht kannte, fragte ich nach. So lernte ich Begriffe, Ausdrücke, Spruchweisheiten, die heute eigentlich nur noch musealen Wert haben, denn die meisten meiner lieben Mitmenschen verstehen sie nicht. Selbst meine vier Kinder müssen oft nachfragen, wenn ich mich auf Kölsch mit ihnen unterhalte. Das mag man bedauern oder nicht - aber die geschichtliche Entwicklung ist nicht aufzuhalten.

Intakte Kölsch-Sprachlichkeit erfordert ein Leben an einem Ort. Nach 1945 kamen so viele Menschen in unsere Region, die ganz andere Idiome und Dialekte sprachen, so dass Hoch- oder Umgangssprache ein notwendiges Kommunikationsmittel wurde, um sich überhaupt verständlich machen zu können. Die von uns in den 60ern gerufenen Menschen aus Portugal, Spanien, Jugoslawien, Italien, Griechenland und der Türkei bereicherten das babylonische Sprachengewirr in unseren Straßen, Plätzen und Schulen.

Kölsch wurde und ist eine von vielen Sprachen - und ich bin zufrieden so. Ich schreibe, spreche und singe mein Kölsch, lerne oft noch dazu. Mische türkische oder englische Wörter und Sätze in meine Texte, wenn es mir richtig erscheint. Kölsch hat mich gelehrt, dass Toleranz mir die liebste kölsche
Tugend ist.

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