Jupp

Jupp (von Rolly Brings Dezember 1984)

Null-acht geboren in Ehrenfeld;
die Haut zerfurcht, und sein Rücken, der ist krumm.
So sitzt er in der Kneipe, meistens alleine;
schaut in sein Bier, hört zu und bleibt stumm.
Nur hin und wieder, wenn die Jungen reden,
reden über Zeiten, die lang vorbei sind,
und die sie nicht erlebt haben;
dann kommt es schon mal vor,
dass einer aufsteht mit einem Bier,
es zu ihm bringt und dann Jupp anspricht:

He, Jupp. Komm, setz dich her zu uns.
He, Jupp. Komm, erzähl es uns.
He, Jupp. Du warst doch mit dabei
He, Jupp. Du hast so viel gesehen.
He, Jupp. Komm, setz dich zu uns hin.
He, Jupp. Der Stuhl hier ist noch frei.

Und Jupp geht mit.

Sitzt er dann endlich, und fängt er an,
dann wird es still bei dem jungen Volk am Tisch.
Im Frühjahr vierzehn kam Jupp in die Schule ;
im Sommer vierzehn musste sein Vater in den Krieg.
Ein Blechkreuz mit einem Beileidsbrief,
die haben sie bereits im Herbst bekommen;
seine Mutter musste jetzt arbeiten gehen.
Bis Sommer achtzehn Hunger und Gloria, dann,
im November, Revolution und rote Fahne -
Jupp konnte das alles nicht verstehen.

He, Jupp. Was hast du mitgemacht?
He, Jupp. Was hat es dir gebracht?
He, Jupp. Erzähl uns, wie es war.

Und Jupp erzählt.

Kapp-Putsch und Ruhrkampf, zerrissene Schuhe;
die Reichen wurden reicher, und das Volk,
das wurde geneppt. Dann, dreiundzwanzig,
de Inflation; im Waschkorb hat er das Geld zum
Bäcker geschleppt. Und neunundzwanzig,
als Geselle in einer Ehrenfelder Klitsche,
er verdiente nicht viel, kam es in der Wall Street
zum Börsenkrach. Und auf den Straßen war was los,
Nazis gegen Sozis - ein blutiger Tanz;
in der Schlange stehen und stempeln, Tag für Tag.

He, Jupp. Was hast du mitgemacht?...

Drei Jahre ohne Arbeit, da war er es satt; ging zur SA,
hatte jetzt jeden Tag seine Suppe. Gegen Rote und
gegen Juden, nein, gegen die hatte er nichts;
aber wenn man es ihm sagte, ja, dann schlug auch
er mit drauf. Und als in grauer Uniform er in Russland
Wache stehen musste, da ist halb Ehrenfeld verbrannt.
Seine Frau und seine Tochter kamen um; die Kleine
hatte er noch nie gesehen. Als er den Brief erhielt,
da biss er in seine Hand.

He, Jupp. Was hast du mitgemacht? ...

Als Spätheimkehrer stand er vorm Dom; Jupp blieb allein,
er wurde nicht abgeholt. Die Jahre später nahm er alles,
wie es kam; malochen und vergessen -
mehr hatte er nicht gewollt. Heute bekommt er Rente,
wohnt allein; und sieht er auf der Straße eine Mutter
mit ihrer Kleinen, dann bleibt er stehen, und seine Augen
werden nass. Zum Westfriedhof geht er oft hin -
vom Grab ist dort nichts mehr zu sehen;
aber Jupp legt dennoch ein paar Blumen in das Gras.

He, Jupp. Bleib noch was hier am Tisch.
He, Jupp. Mach, erinnere dich.
He, Jupp. Wie ging das all die Jahre?
He, Jupp. Was hast du mitgemacht?
He, Jupp. Was hat es dir gebracht?
He, Jupp. Erzähl uns, wie es war. Ja, wie es war...

(c) Rolly Brings 1984

Anmerkung - Graphik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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