„Rede zur Vorstellung von coLOGneBUCH II“ |
Rede zur Vorstellung des Buches „coLOGneBUCH II“ von Rolly Brings am 16.11.2010 im Landschaftsverband Rheinland VON WERNER JUNG *) Heute wird hier im Rheinlandsaal des Landschaftsverbandes das neue Buch von Rolly Brings vorgestellt. Es enthält 90 ausgewählte Texte von ihm aus den Jahren 1974 bis 1990. Es setzt damit das vor zehn Jahren erschienene Buch „logbuch eins“ fort, das Texte von 1949 (wohl gemerkt, der gute Mann ist Jahrgang 1943!) bis 1973 enthält, - und doch sind beide Bücher recht verschieden: Im „logbuch eins“ geht es noch wesentlich um Kommentare zum allgemeinen Weltgeschehen und zur bundesdeutschen Politik. Man kann es daher auch als ein Geschichtsbuch lesen, in dem sich die jeweils aktuellen Ereignisse in persönlichen Gedanken spiegeln. Ein sehr persönliches Geschichtsbuch – und als solches übrigens wiederum eine sehr interessante Quelle für Historiker. Das neue Buch beschränkt sich auf den Kosmos Köln. Alle Texte haben Köln zum Inhalt. Folgerichtig ist aus dem „logbuch eins“, indem im Titel einige Buchstaben ergänzt wurden, das „coLOGneBUCH II“ **) geworden. Ein Unterschied fällt sofort ins Auge: Zu allen Texten gibt es Fotos, also ebenfalls 90. Sie hat der Fotograf Michael Maye angefertigt. Ihm gelingen Aufnahmen mit einer neuen, überraschenden Perspektive; zumeist wird nur ein Detail preisgegeben. Das Entschlüsseln des Ganzen bleibt dem Betrachter überlassen. Menschen mag man gar nicht auf den Fotos. Mein Lieblingsbild ist das Foto von Albertus Magnus, genauer gesagt seiner Skulptur vor dem Universitätsgebäude. Er starrt in den Himmel; das Universitätsgebäude im Hintergrund erscheint losgelöst von seiner Person – die heutige universitäre Praxis mit Bachelor und Credit-Points scheint nicht mehr zur Welt des Universalgelehrten seiner Zeit zu passen. Auch der schwebende Engel von Ernst Barlach in der Antoniterkirche mit den Gesichtszügen der Käthe Kollwitz, tausendfach fotografiert, erscheint im neuen Licht. Viele andere hochinteressante Motive gilt es zu entdecken. Michael Maye beweist mit seinen Aufnahmen, dass er ein wahrer Meister seines Faches ist. Bilder und Texte sind anders als im „logbuch eins“ nicht chronologisch – also nach Jahren –, sondern alphabetisch geordnet – von A wie Abschied bis Z wie Zauberin. Das neue Buch soll ein – so wörtlich – „sehr persönlicher Stadtführer“ sein. Da man dann aber nicht weiß, wo in Köln A wie Abschied bis Z wie Zauberin zu verorten sind, hat man zur Orientierung die exakten Breiten- und Längengrade der 90 Orte angegeben. „Koordinaten für Satelliten gestützte Navigation“. Ganz modern findet man die Standorte auf einer Internetseite. Also wenn Sie demnächst jemanden in der Stadt mit einem gps-Gerät oder gar einem Kompass herumlaufen sehen, handelt es sich um einen Leser, wahrscheinlich auch um einen verzweifelt suchenden Leser des neuen Buches von Rolly Brings. Noch einen kleinen Tipp: Wenn Sie das Buch zu einem Gang durch die Stadt nutzen wollen, gehen Sie nicht nach dem Alphabet vor; es könnte lange dauern. War das „logbuch eins“ ein persönliches Geschichtsbuch, so ist das „coLOGneBUCH II“ ein persönliches Geschichtenbuch. Die Texte – so sagt Rolly im Vorwort – „sind Momentaufnahmen und Zwischenbilanzen meines fast lebenslangen Dialoges mit meiner Stadt, ihrer Geschichte, ihrem öffentlich präsentierten Selbstverständnis und ihren Bewohnern.“ Und fügt noch hinzu: „Dieser Dialog schließt Disharmonie nicht aus.“ Doch kaum einer hängt so an „seiner“ Stadt wie Rolly. Wenn er das Stadtgebiet verlässt, scheint sich automatisch Heimweh einzustellen. Vom „lebenslänglichen Heimweh“ ist in einem der Texte – wenn auch in einem anderen Zusammenhang – die Rede. Nun ein Wort zu den Texten. Das Schöne an dem Buch besteht darin, dass Fotos und Texte mehr aufeinander bezogen sind, als Autor und Fotograf es geahnt haben. Sie betonen nämlich, „Texte und Fotos sollten unabhängig voneinander und jeweils für sich Bestand haben“. Doch geben die Fotos nicht nur einen vertiefenden Blick auf das Geschriebene frei. Sie schaffen zudem dem Leser oder der Leserin eine gewisse Erholungspause zwischen dem Lesen der einzelnen Texte. Und dies ist auch dringend geboten. Wer glaubt, dem kölschen Rolly Brings kämen nur heitere, leicht beschwingte Texte aus der Feder und deren Unterhaltungswert sei von vornherein garantiert, der kennt nicht Rollys Bücher und Lieder. Wahrscheinlich kennt er auch nicht das Kölsche, sondern bestenfalls dessen vermarktete folkloristische Seite. Einem Poeten begegnen wir in den Texten. Sie sind verdichtet, verschlüsselt, verkürzt, mehrschichtig – und wenn man ihren Hintergrund nicht kennt, streckenweise eine harte Nuss, die es zu knacken gilt. Man muss sich als Leser schon an die Arbeit des Entschlüsselns und des Interpretierens machen. Mehrfaches Lesen, am besten lautes Lesen, ist empfehlenswert. Aha-Erlebnisse stellen sich dann fast automatisch ein. Gott sei dank hat der Autor sich entschlossen, dem Leser etwas zu helfen. In einem recht umfangreichen Anmerkungsapparat wird das eine und das andere erklärt und Hintergründe zur Entstehung der Texte gegeben. Wenn er denn will. Es heißt auch schon mal im Anmerkungsteil zu einem Text: „Nicht gewillt, die von mir aufgeworfene Frage zu beantworten, hinterlasse ich Rätsel. Aber: Wer tut das nicht?“ Oder: „Erklärungen würden den Text nicht verständlicher machen, sondern ins Beliebige oder Einseitige führen. Als Musiker habe ich gelernt, vor einem Song nur das Allernotwendigste zu erzählen. So soll es auch hier sein.“ Doch glücklicherweise verrät er uns zumeist doch so einiges. In den 90 Texten werden ein wirklich imposantes Bild und ein schier unerschöpfliches Panorama geboten, die auf einer großen Gelehrsamkeit und einem breiten Interesse an der Geschichte der Stadt fußen. Zeitlich wird ein weiter Bogen gespannt: von ca. 70 000 vor Christi bis 1990. Philosophie und Religion gehören zu den zentralen Themen, insbesondere aus mittelalterlicher Zeit. Natürlich zieht es den Kölsch-Katholischen immer wieder in Kölner Kirchen – insbesondere zur Minoritenkirche und zu Sankt Andreas. Weniger aus architektonischen Gründen, sondern aus seiner persönlichen Bindung zu dort Beerdigten. Sie wissen nach dem Lesen allerdings auch, was der Passer domesticus ist und welche Rolle für Rolly Brehms Tierleben spielt. Und einige Plätze und Orte, an die er persönliche, familiäre Erinnerungen knüpft, werden aufgesucht wie die Eisheiligenstraße in Ehrenfeld, der Blücherpark, die Rochuskapelle, der Wilhelmplatz. Auch die Erzählung über die Begegnung mit Josef Kardinal Frings und dessen großzügige private Spende für die von Rolly Brings mit anderen organisierte Zigeunerwallfahrt nach Altenberg, lässt aufhorchen. Rollys Geschichten sind zumeist Heldengeschichten. Es werden in der Regel nicht irgendwelche Menschen vorgestellt, sondern solche, die er in seinen – wie er sagt – „privaten Heldenkalender“ aufgenommen hat. Selten sind es – bis auf eine Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen komme – aktuell Lebende: Agrippa – Adam Schall von Bell – Albertus Magnus – Thomas von Aquin – Ida, Äbtissin des adligen Stiftes St. Maria im Kapitol – Johannes Duns Scotus – Francesco Petrarca – Nikolaus Gülich – Joost van den Vondel – Robert Blum und dann Heinrich Böll; schließlich doch noch etwas Privates: die Mutter – die Zauberin – und die Tanten, die alle HB rauchten und das Parfüm einer Generation von Frauen auftrugen: Tosca. Im Lauf der Zeit hat er jedoch lernen müssen, dass auch seine – so wörtlich – „Privatheiligen und –helden widersprüchliche Charaktere und hässliche Flecke, Risse und Sprünge in ihren Biographien haben“ – wie beispielsweise Albertus Magnus. Wie entstehen die Texte? Seine Texte sind knappe, kurze Erzählungen, längeren Aphorismen gleich. Immer wieder kommt der Hinweis auf den „Schatz der familiären Erzählungen“. In seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Lück sin och Minsche“ (Leute sind auch Menschen) hat er aus diesem Familienschatz zahlreiche Kölner Redensarten zusammengetragen. Der familiäre Hintergrund ist für Rolly wesentlich. Sicherlich ist er ein ausgeprägter Familienmensch, sicherlich auch einer, der Freundschaften pflegt. Doch ohne Zweifel ist er auch ein Einzelgänger, in sich selbst ruhend, sich gewissermaßen selbst genug, und vor allem eins: soweit wie möglich unabhängig von allem und jedem. Auch seine Texte zeigen: Er lebt in seinem eigenen Universum. An einigen Stellen in den Texten und vor allem in den Anmerkungen erlaubt er uns Einblicke in seinen literarischen Schaffensprozess. Seit seiner Jugend hat er sich mit Theologen und Philosophen beschäftigt und diejenigen, die ihn interessieren, stehen nicht allein im Bücherregal, sondern nehmen „in des Mannes Kopf Wohnung“ – wie er es in einem Märchen erzählt. Personen stehen im Mittelpunkt. Geschichte und Philosophie ist für ihn nie etwas Abstraktes, sondern eine persönliche Begegnung. Strukturgeschichtliche Analysen wird man bei ihm nicht finden; sie interessieren ihn nicht. Ein „Kopfgebäude“, das seit Kindestagen gefüllt ist – wie er sagt – mit „Erzählungen, Sagen, Märchen, Mythen, Legenden, Geschichten und Geschichte, in dem ich hausen konnte und es heute noch kann“. Rolly mag es – wie er es erwähnt – „meine Stadt mit vergangenem und gegenwärtigem Personal zu bevölkern, auch wenn die Zeitebenen sich verschieben. Ein Vorzug der Literatur ist es, mit seinen alten und neuen Bekannten Kontakt zu haben, wann immer man will.“ Und das darf man bei Rolly getrost wörtlich nehmen: Mit seinem – wie er es nennt – „Kopfpersonal“ nimmt er Kontakt auf. Beim Debattieren und Lesen passiert es denn, dass die Gedanken aus dem Kopf springen und er sich laut mit einem vor Jahrhunderten Verstorbenen unterhält, wenn („mein Dialog mit dem Dichter den Kopf verlassen hat und hörbar wurde“) – sehr zur Irritation der Leute, wenn sie zum Beispiel neben ihm im Café sitzen. Vergangenheit und Gegenwart werden eins. Aus diesen Zwiegesprächen entstehen wohl meist die Texte, die Gedanken, die er in sein Tagebuch einträgt. Bei der Auswahl seiner Texte fällt sehr ins Auge, wie viele von ihnen sich mit der Zeit des Nationalsozialismus in Köln beschäftigen. Dieser Tatsache ist es wohl auch zu verdanken, dass Rolly mich gebeten hat, heute Abend etwas zu seinem neuen Buch zu sagen. Drei Weise, Edelweißpiraten, Edith Stein, EL-DE-Haus, Elsaßstraße, Grünanlage Hansaring, Jawne, Kaddisch, Offenbachplatz, Rückkehr unerwünscht und mehrere andere Texte zeigen, wie sehr sich Rolly seit Jahrzehnten mit der NS-Zeit und ihren Verbrechen auseinandersetzt. Hier sind seine Helden auch zum Zeitpunkt des Schreibens der Tagebucheinträge noch lebende Personen: Maria Fensky, Toni Fleischhauer, Ferdi Hülser oder die Edelweißpiraten Fritz Theilen und Jean Jülich – neue „Helden“, neue Freunde. Wenn es um NS-Verbrechen geht, verschlägt es ihm an mehreren Stellen die Sprache: Im EL-DE-Haus lässt er an seiner Stelle eine Inschrift zu Wort kommen. Ohne Frage spielt die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in seinem privaten Leben und seinem künstlerischen Schaffen – sei es als Musiker, sei es als Poet – eine grundlegende und sinnstiftende Rolle. Diese Tatsache selbst ist bereits beachtlich, noch beachtlicher ist es jedoch, wie lange dies bereits so ist. Ich hatte ja schon darauf hingewiesen, dass im Unterschied zum „logbuch eins“ das „coLOGneBUCH II“ nicht chronologisch gegliedert ist. Dies eröffnet interessante Einblicke. Man erfährt erst aus den Anmerkungen, in welchem Jahr der Text geschrieben wurde, und ist oft erstaunt, zu welch frühem Zeitpunkt er abgefasst wurde. Mir fällt eigentlich für Köln nur noch eine weitere Person ein, die bereits in den sechziger Jahren so intensiv eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit unserer Stadt einforderte: Sammy Maedge, dem man hoffentlich auch mal ein Denkmal setzt, der allerdings seit einiger Zeit dazu nichts mehr einbringen kann. Bei Rolly ist dieses Engagement seit Jahrzehnten ungebrochen. Der Text „Morje, morje - Yarınlarda“ – als Lied auch von den Bläck Fööss gesungen – ist nach 28 Jahren noch so, als wäre es auf heutige Rechtsextreme geschrieben. Seine Texte und seine Lieder wie Edelweißpiraten und EL-DE-Haus sind lange Balladen, weil er einer Generation von Menschen erst einmal überhaupt die verschüttete und verdrängte Geschichte zu erzählen hatte. Eine Chronologie für die Texte von 1974 bis 1990 war übrigens aus einem ganz anderen Grund nicht erforderlich. Die zentralen Themen Rollys sind auf erstaunliche Weise gleich geblieben. 26 Jahre – ja zum Teil, wenn man es über den zeitlichen Rahmen des Buches (also 1990) hinaus betrachtet – 46 Jahre scheinen keine Rolle zu spielen. Rolly ist sich treu geblieben: Während andere gleich mehrmals im Jahr „ihr“ Thema und ihre Meinung ändern, sich dem Zeitgeist anpassen, ist es Rolly eigentlich egal, ob er für die Themen, die er für wichtig hält, Anhänger und Mitstreiter findet oder nicht. Dass er sie gefunden hat und stets neue findet, darüber freut er sich natürlich. Seit 27 Jahren veranstaltet er am 10. November in Köln-Ehrenfeld die Gedenkveranstaltung für die 1944 dort Hingerichteten, unter ihnen deutsche Jugendliche, die zuvor Edelweißpiraten waren. Bei Wind und Wetter, bei wenigen oder vielen Besuchern. Mittlerweile doch mit einigem Erfolg, denn in der Einschätzung der Rolle der Edelweißpiraten hat sich in den letzten Jahren doch erfreulicherweise viel getan. Rolly würde die Gedenkveranstaltungen aber auch durchführen – und da bin ich mir ganz sicher –, wenn er fast alleine dort stehen würde. Seine Zähigkeit und sein Durchhaltevermögen über so viele Jahre hinweg, das bewundere ich bei ihm am meisten. Er bleibt der, der er immer war: authentisch, unangepasst, frei und engagiert für Menschen, die einst auf der Schattenseite des Lebens standen und für Menschen, die heute dort stehen. In der Hoffnung, dass bald das „Colognebuch drei“ mit Texten nach 1990 folgen wird, bleibt mir daher nur zu sagen: „Rolly, maach wigger su. Bliev, wie du bes. (Rolly, mach weiter so. Bleib, wie du bist.)“ *) Dr. Werner Jung ist Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. **)
Rolly BringsCoLOGneBUCH IImit Fotos von Michael Maye 1. Auflage 2010 269 Seiten
Verlag Ralf Liebe Kölner Straße 58 53919 Weilerswist Tel.: 02254 / 33 47 Fax: 02254 / 16 02 E-Mail: info@verlag-ralf-liebe.de Internet: www.verlag-ralf-liebe.de
ISBN 978-3-941037-65-6 15,- Euro |