„Adieu, Schang“ |
EXPRESS – KÖLN – Donnerstag, 20. Oktober 2011 – Seite 28
Edelweißpirat Jean Jülich starb mit 82 Jahren
Adieu, Schang! Du warst ein Kölner Held
Von ROBERT BAUMANNS
Köln – Ein kölscher Held ist tot. Jean Jülich, der Widerstandskämpfer, Gastronom und Karnevalist, starb am Mittwochmorgen um fünf Uhr mit 82 Jahren. „Schang“, wie er genannt wurde, hatte am Montag einen Herzstillstand, wurde von Notärzten wiederbelebt und kam ins Krankenhaus. „Da war er bereits hirntot“, wie seine Witwe Karin mitteilt. „Er ist also daheim im Sessel gestorben.“ Seine Patientenverfügung untersagte lebenserhaltende Maßnahmen.
Kohldampf, Knast und Kamelle – Jülichs Leben
„Er ist morgens um fünf Uhr friedlich und ruhig eingeschlafen“ – das sagte Jülichs Witwe Karin (72), als sie den EXPRESS über seinen Tod informierte. Mit ihren Kindern Conny (48) und Marco (46) war sie in den letzten Stunden bei ihrem Mann. 1942 schloss er sich mit knapp 13 Jahren den Edelweißpiraten an. Die Jugendlichen wanderten, kloppten sich mit der Hitler-Jugend und kämpften gegen den Terror. Jülich wurde oft ins Gefängnis gesteckt, litt Hunger. Seine Freunde Barthel Schink und Günter Schwarz wurden als 16-Jährige in Ehrenfeld öffentlich hingerichtet. „Das hätte mich auch treffen können“, sagte er dem EXPRESS. Nach dem Krieg hat er immer wieder in Schulen für Zivilcourage geworben. Nach einer Initiative des EXPRESS erkannte der damalige Regierungspräsident Jürgen Roters (SPD) die Edelweißpiraten 2005 als Widerstandskämpfer an. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde, die er jetzt als OB plante, scheiterte aber an der CDU. Doch das war nicht alles: In Jülichs Gaststätte „Blomekörvge“ sangen die Bläck Fööss in den 70er Jahren neue Songs, bevor sie auf Platte kamen. Auch Severinstorburg und Mülheimer Stadthalle prägte Jülich als Gastronom. Und dann der Karneval: „Wer so viel Scheiße erlebt hat, muss kontern“, sagte er. Er gründete mit „Die Löstige Eins“ die kleinste Karnevalsgesellschaft der Welt. Präsident: Jean Jülich. Einziges Mitglied: Jean Jülich. Mit den Sitzungen sammelte er zigtausende Euro für Kölner Pänz. In der letzten Session erlitt er auf der Bühne einen Schwächeanfall. Im Krankenhaus stürzte er, daheim erneut. Er wurde immer schwächer. „Ich merke, dass es zu Ende geht“, sagte er, als EXPRESS ihn kürzlich besuchte. Danach bat er Rolly Brings, seinen künstlerischen Nachlass zu regeln. Jetzt nehmen Rolly Brings, Peter Brings, Stephan Brings, Maria Brings und Benjamin Brings Abschied von ihrem Freund: „Lieber Jean, jetzt hat der Herrgott Dich gerufen, weil Du müde bist von der langen Reise. Und Er wird sagen: Im Himmelsgarten ist ein Sonnenplatz für das Edelweiß.“ Adieu, Schang ...
(i) Ehrung in Yad Vashem
Seit 1953 ehrt der Staat Israel in der Gedenkstätte Yad Vashem alle Nicht-Juden, die bei der Rettung von Juden vor dem Holocaust ihr eigenes Leben riskiert hatten. Im April 1984 wurde die Ehre auch Jean Jülich (Foto) zuteil. Er wusste 1944, wo in Ehrenfeld Juden versteckt waren – und hatte trotz Gestapo-Folter nichts verraten. „Ich nehme die Ehrung an für alle Edelweißpiraten“, sagte Jülich, als er in Yad Vashem auf der „Allee der Gerechten“ seinen Baum pflanzte.
„Er wird für immer Vorbild sein“
Edelweißpiratin Gertrud „Mucki“ Koch: „Er ist jetzt sicher an dem schönen Ort, den man Himmel nennt. Ich wünsche ihm alles Gute da oben.“ Ehrenfelds Bürgermeister Jupp Wirges (SPD): „Ein schwerer Schlag. Wir werden im Kampf gegen Rechts in seinem Sinne weitermachen.“ Edelweißpirat Fritz Theilen: „Ich bin unheimlich traurig und sprachlos.“ Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD): „Jülich gehört zu den großen Kölnern, die durch ihr Handeln in der Stadt Spuren hinterlassen und Maßstäbe gesetzt haben. Er wird für immer ein Vorbild für die Jugend sein und einen festen Platz im Gedächtnis der Kölner haben. Wir setzen jetzt alles daran, dass sein Lebenswerk niemals in Vergessenheit gerät.“
[Texte unter den Fotos von FOURAD, ZIK, RÁKÓCZY, WORRING, MICHELS]:
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