„Vergessen? Niemals!“ |
FOLKER – 06.11 - November-Dezember 2011 – ORTSTERMIN – S. 64
Vergessen? Niemals! Rolly Brings & Bänd EL-DE-Haus, Köln, 9. 6. 2011
„Wir machen später eine kleine Verschnaufpause, und wem es zuviel wird, der kann in dieser Pause unauffällig nach Hause gehen.“ Einen solchen Warnhinweis an das Publikum kann sich nur ein Ausnahmekünstler wie der Kölner Liedermacher Rolly Brings erlauben. Er tut es an diesem besonderen Ort nicht ohne Grund. Wir befinden uns im EL-DE-Haus an der Kölner Elisenstraße, 1934 erbaut von dem Uhrengroßhändler Leopold Dahmen, 1935 von der Gestapo beschlagnahmt und als Hauptquartier verwendet. Hier fanden Folterungen statt, hier wurden Mitglieder der Edelweißpiraten verhört, die ebenso in den Kerkerzellen im Keller einsaßen wie viele Zwangsarbeiter vor ihrer Deportation in die Gaskammern [ ... ]. Es hat für den Liedermacher eine besondere Qualität, an diesem Ort zu singen, mit dem er, wie er sagt, erst spät seinen Frieden gemacht hat. Brings stellt an diesem Abend sein neues Buch coLOGneBUCH II (siehe Buchrezension S. 68) vor, einen literarisch-fotografischen Stadtführer. Die Fotos stammen von Michael Maye, der eine zu den Liedern des Konzertes passende Auswahl an Fotos auf eine Leinwand projiziert. Der Hinweis zu Beginn hat sehr wohl seine Berechtigung: Brings macht es seinen Zuhörern an diesem Abend nicht leicht. Er schärft mit seinen Texten und treffenden Kommentaren den Blick auch für die Schattenseiten seiner Heimatstadt. Die Dialektlieder, die er ausgesucht hat, sind deutliche Warnungen, die noch stets ihre Gültigkeit haben. Das gerade an diesem Ort passende, herzergreifende Lied „EL-DE-Huus“ etwa ist die Übersetzung der Zellenwandinschrift eines Mädchens aus der Ukraine: „Ich sitze in der Gestapo-Hölle / Hier in der nassen, kalten Zelle / Wir werden bald weggebracht ...“ Brings ist keineswegs ein Ewiggestriger. In seinen Moderationen schlägt er einen Bogen von der NS-Zeit in die Gegenwart, zeigt aktuelle Zusammenhänge auf, sensibilisiert für rassistische Umtriebe wie die der ultrarechten „Bürgerbewegung“ Pro Köln, warnt aber auch, dass selbst die Linke gelegentlich auf einem Auge blind ist. Sein wohl bekanntestes Lied „Yarinlarda – Morje, morje“, mit dem die Bläck Fööss bereits 1982 für die Integration türkischer Mitbürger warben, erfährt eine textliche Aktualisierung. Sein Song über „Dä ahle Zijeuner“ setzt sich ebenso mit verfolgten Minderheiten auseinander wie das anrührende „Hagada – Wöder en Stein“ oder die Geschichte von „David“, einem emigrierten Juden, der Brings Jahre später seine Erlebnisse schildert und dabei immer noch „ziddert wie ne Baum“. Die Begleitband von Rolly Brings besteht an diesem Abend aus seinen langjährigen Freunden Wolfgang Klinger, einem Meister an der Nylonsaitengitarre, und Helmut Kraus, der mit seinem dynamisch-groovenden fünfsaitigen E-Bass den Kontrapunkt setzt. In der Atmosphäre des EL-DE-Hauses entfaltet sich die Wirkung dieser Musik auf besondere Weise. Ausstellungsstücke und historische Fotos gemahnen an eine Zeit, die längst vergangen ist und einem an diesem Abend doch so nahe gebracht wird von einem faszinierenden Sänger und Gitarristen, dessen Lieder die Menschen dieser Stadt lebendig und ihre Geschichten und Schicksale fast körperlich spürbar werden lassen. Aufrüttelnd, faszinierend, elektrisierend! Kein einziger Zuhörer ist in der Pause gegangen.
ULRICH JOOSTEN
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