Kölner Stadt-Anzeiger – KÖLN – Samstag / Sonntag, 27. / 28. Juli 2013 – Seite 28
Die Angst vor Luxus-Sanierungen wächst
IMMOBILIEN Stadtentwicklungsausschuss diskutiert über Milieuschutzsatzung
VON DIRK RISSE
Den Rathenauplatz nennt Rolly Brings "nach Ehrenfeld meine zweite Heimat".
Seit fast 20 Jahren lebt der kölsche Musiker in der Boisseréestraße, nur einen Steinwurf vom grünen Platz entfernt.
Hier schreibt er seine Texte, hier komponiert er.
1996 hat er dem Platz ein Lied gewidmet, in dem er Schulkinder und Parksünder besingt, das Blumenlädchen an der Ecke und den Weltmusikladen Yalla.
Vom kölschen Idyll ist wenig geblieben, findet Brings.
Zunehmend vergrätzen ihm lärmende Bauunternehmen die Stimmung, die rund um den Rathenauplatz ein Haus nach dem anderen sanieren.
Brings nennt es "das Konzert der Presslufthämmer".
"Die Häuser werden aufgemotzt und anschließend werden die Mieten erhöht."
Angst vor extrem hohen Mieten
Die Angst geht um am Rathenauplatz.
Die Angst vor extrem hohen Mieten, die sich Rentner, Alleinerziehende oder auch Studenten kaum noch leisten können.
So sieht das Rolly Brings, und auch Klaus Adrian, der Vorsitzende der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz.
Adrian selbst musste vor zwei Jahren aus einem Haus an der Meister-Gerhardt-Straße ausziehen.
Die Vermieter wollten den Bau kernsanieren und anschließend die Wohnungen teuer auf den Markt bringen.
Damit die Mieter schnell ausziehen, hätten sie hohe Abfindungen erhalten – bis zu 25 000 Euro.
Adrian habe zunächst bleiben wollen, schließlich seien die Bauarbeiten aber unerträglich geworden.
"Die kamen morgens um sieben mit dem Presslufthammer."
Kein Einzelfall, so Adrian.
Rathenauplatz, Dasselstraße, Meister-Gerhardt-Straße, Boisseréestraße:
Für bis zu 4300 Euro pro Quadratmeter würden top-sanierte Wohnungen nach Luxussanierungen im Viertel verkauft.
Ein Blick ins Internet reicht aus, um Wohnungen zu finden, für die die Mieter über 15 Euro pro Quadratmeter zahlen müssen.
Der Druck auf die alteingesessenen Hausbesitzer wachse:
"Es gibt Hausbesitzer, die erhalten Quartal für Quartal Angebote für ihre Häuser", sagt Adrian.
Das bestätigt auch Architekt Thomas Scheidler, der vor 25 Jahren mit Partnern ein Haus am Rathenauplatz kaufte, "weil es ihn an seine Studienzeit in Berlin-Kreuzberg erinnerte".
Illegal sei das alles nicht, erläutert Jürgen Becher, Geschäftsführer des Kölner Mietervereins.
"Sie nutzen nur das knappe Wohnungsangebot für ihre Zwecke aus".
Eine Mietpreisbremse, die derzeit in der Bundesrepublik diskutiert wird, würde möglicherweise Abhilfe schaffen.
Dann dürften Vermieter nur 10 Prozent mehr als die ortsübliche Miete nehmen.
Das wären in Köln maximal 10 Euro – für Wohnungen, die nach 1990 errichtet wurden.
Mehr Spielraum hätten Vermieter, wenn sie im Bestand modernisieren.
"Die Politik muss aufwachen und die Immobilien-Haie ins Licht ziehen", sagt Bezirksbürgermeister Andreas Hupke.
Eingreifen könnte der Rat mit einer sogenannten Milieuschutzsatzung, mit der Luxussanierungen untersagt werden könnten.
Die Bezirksvertretung Innenstadt hat in ihrer jüngsten Sitzung den Weg frei gemacht für ein solches Papier, das in der gesamten Innenstadt gelten soll.
Die Linke hat außerdem im Rat einen entsprechenden Antrag für den Rathenauplatz gestellt, der im September im Stadtentwicklungsausschuss diskutiert wird.
München dient als Vorbild
Wie sich dort die Diskussion entwickelt, ist offen.
SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Barbara Lübbecke will das Papier der Linken "ernsthaft prüfen, um Wohnmöglichkeiten für Menschen auch mit wenig Geld in der Innenstadt zu erhalten."
Auch die Grünen könnten sich die Satzung vorstellen, "wenn sie wirksam ist", sagt der stellvertretende Fraktionschef Jörg Frank.
In München ist man einen Schritt weiter.
Derzeit gibt es dort 14 Erhaltungssatzungsgebiete, in denen etwa 170 000 Einwohner in 92 000 Wohnungen leben.
Die Mieter können vor Verdrängung durch Luxussanierungen geschützt werden, weil Abbruch und bauliche Veränderungen von der Stadt genehmigt werden müssen.
"Wir haben gute Erfahrungen mit der Satzung gemacht", sagt Karla Schilde, Sprecherin des Münchner Planungsamts.
Mietspiegel und Mietwucher
Die Milieuschutzsatzung ist im Paragrafen 172 des Baugesetzbuches geregelt.
Danach kann die Stadt "die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung" durch Maßnahmen in einem Viertel schützen.
Der Kölner Mietspiegel sieht Preise von 6 bis 7,50 Euro für Häuser vor, die vor 1960 gebaut wurden.
6,50 bis 8,50 Euro für Häuser von 1961 bis 1975 und 7 bis 9 Euro für Häuser mit dem Baujahr 1976 bis 1989.
8 bis 10 Euro können für Häuser verlangt werden, die ab 1990 errichtet wurden.
Im Rahmen der ortsüblichen Mieten kann der Vermieter Mieten binnen dreier Jahre um 20 Prozent erhöhen.
Als Mietwucher gelten Mieten, die 50 Prozent des Mietspiegels übersteigen, als Mietüberhöhung, wenn der Betrag 20 Prozent übersteigt.
(ris)
[Text unter dem Bild von MARTINA GOYERT]:
Im Rathenauviertel werden zahlreiche Wohnungen aufwendig saniert.