„Straßensperre für Zwangsräumung
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EXPRESS – KÖLN – Donnerstag, 17. April 2014 – Seite 30

Straßensperre für Zwangsräumung – Polizei-Hundertschaf-ten vor Ort – Aktivisten weggetragen

Kalle ist raus!

Von CARSTEN RUST und DENNIS SENNEKAMP

Köln – Er hat seine Wohnung und sein Veedel geliebt: Schluss, aus, vorbei – Karl-Heinz "Kalle" Gerigk (54) hat seine vier Zimmer nach 32 langen Jahren gestern um 10 Uhr für immer verlassen müssen.
Begleitet von mehreren Hundertschaften, zog der Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung durch.
Für viele ist damit ein monatelanger Kampf, für Kalle eine Ära vorbei.
Er war 22, als er in die Wohnung mit Blick auf die Agneskirche einzog.
Jetzt musste er gehen, weil der Vermieter Eigenbedarf anmeldete.
"Aber ich bin nicht wütend. Ich bin eher überwältigt von der Unterstützung und dem Zuspruch durch Nachbarn und Freunde", sagt Kölns Miet-Held.
Nachdem der erste Anlauf gescheitert war, ging die Polizei beim zweiten Räumungsversuch auf Nummer sicher.
Bereits um zwei Uhr morgens sperrten Beamte die Fontanestraße auf beiden Seiten ab.
Um kurz vor sieben hatten sich 150 Unterstützer Kalles an der Polizeiblockade versammelt und eine Bühne aufgebaut, auf der Rolly Brings [mit Pete Haaser] * und später der DJ der guten Laune Stimmung machten.
Pünktlich um acht Uhr betrat der Gerichtsvollzieher das Haus – und stieß auf Widerstand.
Auf der Treppe versperrten 20 Aktivisten den Weg zu Kalles Wohnung im Dachgeschoss.
Weitere sieben setzten sich unten vor den Eingang.
Vermutlich hatten sie alle im Haus übernachtet und so die Sperrungen umgangen.
Als die Polizei alle Protestler rausgetragen hatte, öffnete ein Schlüsseldienstmitarbeiter die Tür zu Kalles Wohnung.
Der überreichte dem Gerichtsvollzieher schließlich die Wohnungsschlüssel.
Das war der Schlussstrich unter den monatelangen Protest.
Kalle, der selbst Mitarbeiter des Kölner Wohnungsamtes ist, zum EXPRESS:
"Es war für mich auch ein Stück weit eine politische Aktion. Ich wollte mich gegen steigende Mieten und Zwangsräumungen wehren. Inzwischen ist das ja nicht nur ein Kölner, sondern ein europaweites Problem geworden."
Am Abend bekam Kalle zwar noch keine Bleibe, wohl aber eine Unterkunft.
Er zog zu seinem Freund Georg Kuemmel.
Nicht ohne vorher seinen Nachbarn zu versprechen: "Ich komme wieder."

Das Video
www.express.de/tv

Köln baut viel zu wenig Wohnungen

Köln – Knapper Wohnraum, steigende Mieten: Eigentlich müssten die Bagger rollen.
Doch beim Wohnungsbau hat Köln das Klassenziel weit verfehlt.
Wieder mal.
Um den starken Bevölkerungszuwachs in den Griff zu kriegen, müssten laut Baudezernent Franz-Josef Höing 52 000 neue Wohnungen in Köln gebaut werden.
Ein Großteil bis 2020.
Macht pro Jahr mindestens 5000 neue Wohnungen.
So viel zur Theorie.
Vom Bauamt wurden im vergangenen Jahr nur 2979 neue Wohnungen freigegeben.
Davon sind 1748 in Mehrfamilienhäusern entstanden, die Stadt peilt allein hier jährlich 3500 Wohnungen an.
Tatsächlich wurde 2013 sogar ein Rückgang von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vom Landesamt für Statistik ermittelt.
Tut sich beim Wohnungsbau weiter nichts, wird der Kampf um bezahlbare Wohnungen immer härter werden.
Und Kalle bleibt kein Einzelfall.

[Texte unter den Fotos von RUST]:
Nur noch ein Streifenwagen steht nach der Räumung vor dem Haus in der Fontanestraße, in dem Kalle 32 Jahre lang gelebt hat.
Er kommt vorerst bei Freunden unter.

Dieser Festgenommene hatte sich der Polizei massiv widersetzt und um sich geschlagen und getreten.

"Wie viele Finger siehst du?" fragt der Beamte den verletzten, benommenen Mann.

Geduldig wartet der Mann vom Schlüsseldienst (Mitte) auf seinen Einsatz.

Winken zum Abschied: Kalle verläßt seine Nachbarn aus der Fontanestraße 5.

Karl-Heinz (Kalle) Gerigk (54) ist nach seiner Zwangsräumung bei seinem guten Freund Georg Kuemmel (50) untergekommen.

[* Rolly Brings mit Pete Haaser
Bühnen-Programm von 7 Uhr bis kurz vor 8 Uhr vor der Polizeisperrung Neusser Wall / Fontanestraße:

1) Baggerführer Willibald © Dieter Süverkrüp
2) Guten Morgen, liebe Leute © trad / Rolly Brings
3) Sim-sala-bim-bamba-saladu–sala-dim – unterm Dach der Kalle saß © trad / Rolly Brings
4) Wem gehört die Stadt: uns Menschen – oder dem Geld? Alle für Kalle – denn wir sind die Stadt. © Rolly Brings
5) Sieh, da geht einer rum … © trad / Rolly Brings
6) Klaus der Geiger © Rolly Brings
7) Die Moritat von Mackie Messer © Brecht / Weill]

Hier zu den Fotos von Gaby Gegenfurtner

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