Kölner Stadt-Anzeiger – LAND / REGION – Dienstag, 19. August 2014
Serie Kleine Fluchten (42)
Nahe liegende Ausflüge, die (fast) nichts kosten
Erlesene Begegnung
Schmökern in beschaulicher Atmosphäre – Das oberbergische Bücherdorf Müllenbach
VON GISELA SCHWARZ
Marienheide. Idylle pur: Obstwiesen, Wehrkirche und schöne alte Häuser beherrschen das Dorfbild von Müllenbach.
Und das „Haus der Geschichten“, ein altes verschiefertes Gebäude in der Graf-Albert-Straße – die Keimzelle für das Projekt, das dem beschaulichen Ort einen bundesweit verbreiteten Namen gab: Bücherdorf.
Der Schriftsteller Harry Böseke kaufte das Haus 1998.
„Es ist alles noch da – der Kaufladen, die Arztpraxis mit dem alten Inventar, eine Druckwerkstatt und die Fuhrmannskneipe“, zählt der Literat auf.
Er hat den Grundstein für das Bücherdorf gelegt.
Max von der Grün hat hier gelesen, Rolly Brings hat Märchen auf Kölsch erzählt und gesungen.
Früher war auch der (inzwischen verstorbene) Kabarettist Hans Dieter Hüsch gern zu Gast.
An jedem ersten und dritten Wochenende im Monat kommt Leben in den Ort – es gibt einen Büchermarkt mit antiquarischem Lesestoff.
Der stammt aus dem „Haus der Bücher“ – eine Fundgrube.
Die kleinen Räume sind vollgestopft mit Literatur bis unter die Decke.
Michael Melzer und Marie-Luise Siebertz halten in „Melzers Antiquarium“ mehr als 4000 Bücher vor: bergisch-sauerländische Regionalbücher, Abenteuerromane, Karl May, Atlanten, Belletristik.
Und dann ist da noch Hans Adolf Müller, genannt H. A. M. van der Sluys, der Kunstliebhaber aus Köln, der „alles Mögliche“ in Sachen Kunst, Kultur und Kataloge im Angebot hat.
Dritte im Bund sind Gerhard und Heidemarie Eberle-Ringel mit ihrem Bücherkabinett.
„Peterchens Mondfahrt“ liegt da auf einem Stapel – die Antiquarin hat sich auf Märchen- und Kinderbücher spezialisiert.
Ehemann Gerhard zeigt einem Gast gerade einen alten Atlas mit Goldschnitt und empfiehlt Reiseführer durch ganz Deutschland zum kleinen Preis.
Auch vor dem „Haus der Bücher“ liegen auf langen Tischen alte Schätzchen aus, in denen die Besucher blättern und prompt auch fündig werden.
Irgendwie ist alles sehr romantisch und viel persönlicher, als im Internet nach alten Büchern zu suchen.
Doch die Antiquare sind auch bei Amazon registriert.
„Wir kommen gar nicht umhin, auch da mitzumachen“, sagt Melzer.
Allerdings sei die Preisgestaltung angesichts der Konkurrenz im Internet auch bei antiquarischen Büchern ein Problem.
„Die Seele des Buches spielt da keine Rolle. Es geht manchmal um einen Cent, um den ein Preis unterboten wird.“
In der Fuhrmannskneipe zeigt Rita Leyer ihre Neuerwerbungen: Drei Bände „Kulturgeschichte der Neuzeit“ von Egon Fridell.
Bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen haben sich die Besucher inzwischen im Wohnzimmer niedergelassen – Vitrinenschrank, Harmonium, altes Radio, alles Möbel aus den 50er Jahren, dazu Blümchen-Porzellan und Fotos der früheren Bewohner an den Wänden.
Wie früher bei Oma.
Man kennt sich – noch – nicht, aber schnell entwickeln sich Gespräche über Bücher, Gott und die Welt.
Einheimische und Gäste finden zueinander.
Einer der Besucher bietet den Büchernachlass aus dem Elternhaus an, ein weiterer eine Bottichwaschmaschine aus den 50er Jahren.
„Kein Platz für die Waschmaschine“, bedauert Böseke, doch die Bücher, die will Melzer mal sichten.
Müllenbach ist eines von sechs Bücherdörfern in ganz Deutschland
Nach der Stärkung gehen die Gäste weiter, zum Alten Fuhrmannshof, in dem an jedem dritten Wochenende im Monat bei Kaffee und Kuchen Lesungen und Gespräche stattfinden.
Und zur uralten Wehrkirche mit den Secco-Malereien.
Die Kirche ist eine der berühmten „Bonten Kerken“ (farbig bemalte Kirchen) im Oberbergischen Kreis.
Anschließend geht es über den Fuhrmannsweg, der zum alten Steinbruch außerhalb des Dorfes führt.
Früher wurde dort Grauwacke abgebaut.
Das ganze Dorf lebte vom Steinbruch, betrieb nebenbei Landwirtschaft.
Heute hat es andere Prioritäten: Das Bücherdorf soll weiter wachsen.
Schließlich gibt es in ganz Deutschland nur sechs Dörfer, die sich mit ihren Antiquariaten als Bücherdorf einen guten Namen gemacht haben.
Außerhalb der Bücherdorf-Events ist Müllenbach ein beschauliches Örtchen, nur wenn das Schützenfest gefeiert wird, brummt das Dorf.
Schließlich ist der Müllenbacher Schützenverein mit tausend Mitgliedern der größte in Oberberg.
Praktische Hinweise
Das Haus der Geschichte und die Antiquariate in der Graf-Albert-Straße öffnen an jedem ersten und dritten Wochenende im Monat für den Büchermarkt, so auch wieder am 6. / /. September.
Haus der Bücher: geöffnet von 11 bis 17 Uhr, Haus der Geschichten von 14 bis 17 Uhr.
Weitere Aktivitäten: Schwimmen in Bruchertal- und Aggertalsperre.
Anfahrt: Mit dem Auto aus Richtung Köln auf der A 4, Abfahrt Engelskirchen, auf der L 306 in Richtung Marienheide / Meinerzhagen, am Verkehrskreisel rechts abbiegen nach Müllenbach. Hinweisschildern folgen.
Mit der Regionalbahn 25 Köln-Meinerzhagen bis Gummersbach, von dort mit Buslinie 336 Gummersbach-Remscheid zur Haltestelle Müllenbach.
(giz)
www.buecherdorf-muellenbach.de
www.rollybrings.de (Bilder Müllenbach)
|