Mer verjesse nit
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Gemeindeblatt der Synagogen-Gemeinde Köln – קײקקלן – November 2014 – Seite 20 / 21

Mer verjesse nit. Wir vergessen nicht.
Mer verjesse nit. Мы не заϬудем.

Gedenken an die Pogromnacht, [die Ermordung der elf Zwangsarbeiter, der Ehrenfelder Edelweißpiraten und anderen Widerstandskämpfer]

Am 10. November 2014 gedachten Ehrenfelder Bürger – wie jedes Jahr – der in der Nacht vom 09. Auf den 10. November 1938 zerstörten Synagoge in der Körnerstraße, [der am 25. Oktober 1944 erhängten Zwangsarbeiter] und der am 10. November 1944 ermordeten Edelweißpiraten [und anderen Widerstandskämpfer].

In seiner Ansprache an der ehemaligen Synagoge in der Körnerstraße erinnerte Miguel Freund stellvertretend für Synagogen-Gemeinde und Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit nicht nur an die Pogromnacht.
Er brachte zum Ausdruck, was heute vielen Juden keine Ruhe lässt:
„Niemals hätte ich gedacht, dass in Deutschland nahezu siebzig Jahre nach Kriegsende, 76 Jahre nachdem die Synagogen brannten, der Antisemitismus den Alltag erreichen würde.
Niemals hätte ich gedacht, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland selbst – nicht die Zivilgesellschaft, die Bundesregierung, die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen, nein – der Zentralrat der Juden in Deutschland selbst, die Menschen zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus aufrufen müsste und nur 8.000 Menschen – darunter 2.000 Juden – aus ganz Deutschland daran teilnehmen würden.
Niemals hätte ich gedacht, dass die Internetforen bei den Diskussionen um das Schächten, die Beschneidung, Israel oder das Jüdische Museum voll von antisemitischem Schmutz sein würden – man wird doch darüber reden dürfen, heißt es dann immer.
Wir erlebten es im Sommer hier in Köln: Kritik gegen Israel – berechtigt oder nicht – richtete sich immer auch gegen die Juden in Deutschland, da wurde kein Unterschied gemacht.
Aber wo waren die Protestierer bei den Gewalttätigkeiten in Ägypten, im Irak, in Syrien und in vielen anderen islamischen Staaten?
Wo sind die Gegner des Jüdischen Museums, die angeblich nichts gegen Juden, aber etwas gegen ‚sinnlose Geldausgaben‘ haben, bei den Diskussionen um andere Projekte?“
Es sei purer Antisemitismus, wenn mit zweierlei Maßstäben gemessen wird, wenn Gewalt durch Israel, jüdisches Gedenken, jüdische Riten anders beurteilt werden – nur weil sie jüdisch sind.
„Wir gedenken heute auch der Nacht vom 9. Auf den 10. November 1938“, fuhr Freund fort, „als hier in der Körnerstraße, in der Glockengasse, in der Roonstraße, in der St. Apernstraße, in Köln, in Deutschland die Synagogen vom faschistischen Mob entzündet wurden und niederbrannten.
Jüdische Geschäfte, Betriebe und Wohnungen wurden zerstört und geplündert, Juden verprügelt, vergewaltigt und getötet, Tausende in Konzentrationslager verschleppt.
Ja, wir erinnern uns hier in Ehrenfeld, in der Körnerstraße jedes Jahr – am Tag nach dem 9. November.
Aber all das Erinnern, all das Mahnen reicht nicht“, betonte Freund.
„Es muss auch Wirkung haben.
Jeder von uns, der heute Abend hierhergekommen ist, muss es mit sich tragen, jeden Tag des kommenden Jahres, wenn er mit Freunden spricht, wenn er mit Kollegen diskutiert, wenn er im Internet surft: es darf keinen alltäglichen Antisemitismus mehr geben.
Wir wollen nicht, dass Menschen diffamiert werden wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung.
Wir wollen ein Deutschland ohne Judenhass, ohne Rassismus.
Dafür kämpfen wir.
Dafür stehen wir auf: Nie wieder Judenhass.“
Wie jedes Jahr sang Rolly Brings anschließend den „David“ und erinnerte damit an die Nacht, in der die Synagoge brannte.
Rund 200 Menschen, unter ihnen zum ersten Mal viele junge Leute aus der Karnevals-Tanzgruppe „Goldene Lyskircher Hellige Knäächte un Mägde“, die ebenfalls ein Zeichen gegen Rassismus und Extremismus setzen wollten, schritten anschließend mit Kerzen in den Händen in einem Schweigemarsch zum Denkmal für die [Zwangsarbeiter, Widerstandskämpfer und] Edelweißpiraten unweit des Ehrenfelder Bahnhofs.
Vor 70 Jahren wurden in der ehemaligen Hüttenstraße (heute nach einem der hingerichteten Jugendlichen Bartholomäus-Schink-Straße benannt) 13 Menschen – unter ihnen fünf [den Edelweißpiraten zugerechneten] Jugendliche – ohne Gerichtsurteil und vor [Hunderten von] Zuschauern exekutiert.
[Vorher], am 25. Oktober 1944 wurden dort 11 Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, Polen [und wahrscheinlich Belgien und Frankreich] hingerichtet.
Jubelnd begrüßten die Anwesenden Gertrud Koch, genannt „Mucki“ – die letzte lebende Edelweißpiratin, [und Wolfgang Schwarz, dessen Bruder GünterBübes“ Schwarz am 10. November 1944 von Gestapo und SS ermordet wurde].
Tiefe Stille herrschte, als Rolly Brings und seine Freunde die Gedenkzeremonie mit ihrer Interpretation der „Todesfuge“ von Paul Celan eröffneten …
In ihren Ansprachen riefen Bezirksbürgermeister Josef Wirges und die Abgeordnete der Grünen Brigitte von Bülow wie auch die Musiker zum Kampf gegen Rechtsextremismus und zur Unterstützung derer, die unsere Hilfe brauchen, auf.
Die Zeremonie wurde musikalisch begleitet von Rolly Brings mit seiner Bänd, Klaus dem Geiger wie auch der Band „Brings“, alle berühmt für ihr Engagement gegen Ausgrenzung und Rassismus.
Die Veranstaltung wurde vom Kuratorium Ehrenfelder Edelweißpiraten zusammen mit dem Ehrenfelder Bezirksbürgermeister organisiert und vom Bündnis gegen Rechtsextremismus sowie den Grünen unterstützt.
N. M.

[Text unter dem Foto des deutschsprachigen Artikels von N. Marschan:]
Musiker erinnern an die [Zwangsarbeiter, Widerstandskämpfer und] Edelweißpiraten.
[V. l. n. r.: Klaus Strenge, Wolfgang Klinger, Rolly Brings, Benjamin Brings, Helmut Kraus]

[Text unter dem Foto des russischsprachigen Artikels von N. Marschan:]
Alexander Sperling und Miguel Freund mit den Teilnehmern des Schweigemarsches.

 

 

 

 

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