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Das Projekt

Liebe Hörerin, lieber Hörer,

Lang ist der Vormärz, den der Erzähler (eine fiktive Figur, historisch aber durchaus denkbar) aus Erleben und Erinnerung mitteilt: 1794 erlebt er als Junge den Einmarsch der französischen Revolutionstruppen in Köln, die Begeisterung großer Teile des Volkes in der Stadt und im Rheinland, mit der die Franzosen als Boten und Vermittler der neuen Freiheit begrüßt werden.

Der Ich-Erzähler ist einer von denen "da unten", die die Verhältnisse ändern wollen, politisch und sozial: Er ist ein radikaler Demokrat, ein Patriot, ein Republikaner - also ein Linker. Seine Erzählung hat eine Perspektive, einen Standpunkt: Sie ist parteiisch.

Das, was er erlebt, was ihm wichtig ist, teilt er mit. Er scheut keinen Kommentar, kein Urteil, keine Wertung. Von 1794 bis Ende 1847 spannt sich der Bogen seiner Ballade, um dann, als im Februar 1848 die Pariser Revolution das Signal zum Sturm auf die alten, morschen Systeme in fast ganz Europa gibt, die Kölner Ereignisse des 3. März 1848 liebevoll-ironisch zu schildern. Zwar ist die Demonstration der Kölner eine der ersten Aktionen in deutschen Landen, aber viel passiert ist nicht.

Nachdem in Berlin das Volk in blutigen Barrikadenkämpfen, gegen Verrat, Betrug und Täuschungsmanöver des Königs und des Militärs gesiegt hat und Friedrich Wilhelm IV am 19. März 1848 zwingt, sich vor den Gefallenen zu verneigen, teilt der Erzähler die Gefühle der Berliner: In Rache! gibt er ihnen Ausdruck, Richtung und Ziel.

Die Situation ist verzwickt - unser Ich-Erzähler weiß das. Bourgeoisie, Kleinbürger, Intellektuelle, Handwerker, Bauern und Arbeiter haben gemeinsame Ziele: ein einiges Vaterland, Verfassung, bürgerliche Freiheiten - also bürgerliche Rechte, politische Mitbestimmung. Aber Kleinbürger, Intellektuelle, Teile der Bauern, besonders aber Handwerker und Arbeiter wollen auch die s o z i a l e Revolution, die Republik, die Demokratie. Das bedeutet Klassenkampf - z u s a m m e n m i t der Bourgeoisie (den Liberalen) gegen Adel und Thron, aber auch g e g e n die Bourgeoisie, die sich immer wieder dem Thron anbiedert, um bloß die soziale Revolution von unten zu verhindern. So wird das Volk benutzt: als Waffe, um dem Adel Zugeständnisse abzupressen, und als Drohmittel, um eine Koalition von Adel und Bourgeoisie gegen die "da unten" und damit Teilhabe an der Macht zu erlangen. Unser Erzähler verliest ein Flugblatt aus Köln  von Karl Marx, Schapper, Bauer, Engels, Moll und Wolff, das im Herbst 1848 in Köln erscheint, aber schon Ende März 1848 geschrieben ist. Diese Forderungen machen die gegensätzlichen Interessen der Menschen klar, die noch - gezwungen - gemeinsam gegen das alte, halbfeudale System kämpfen.

Viel ist inzwischen passiert: Das Volk in Wien hat auf der Barrikade gesiegt; Metternich ist gestürzt und geflohen; gewählte Vertreter tagen als gesetzgebende Versammlungen in Frankfurt und Berlin; aber das Volk von Paris ist in der Junirevolution 1848 vernichtend geschlagen - die alten Mächte wittern Morgenluft. Während die Nationalversammlungen um Tagesordnung, Reglement und Verfassungsentwürfe ringen, rüstet die Reaktion militärisch auf. Die preußische Regierung ist eine Schöpfung der Märzrevolution - aber das wollen die führenden Liberalen nicht mehr wahrhaben. Diese preußische Regierung, die ihre Interessen durch unterwürfige Zusammenarbeit mit dem Thron verfolgt, ist auch für die Provinz Rheinland, also für Köln zuständig. Als im Rahmen der immer reaktionärer werdenden Politik der beliebte Arbeiterführer Moll in Köln verhaftet werden soll, kommt es zum Barrikadenbau auf dem Alter Markt - der einzigen Barrikade in Köln. Unser Ich-Erzähler, der sich und seine Kölner kennt, berichtet in Barrikade auf  dem Alter Markt   schmunzelnd diese Episode, wahrscheinlich ahnend, daß spätere Chronisten diese typisch kölsche Aktion zur demokratischen Legende verklären werden. Auch den schlitzohrigen Kommentar Karl Marx’ zu diesem "Ereignis" fügt er als Dokument bei.

Während in Splitterdeutschland und Österreich die Reaktion wieder erstarkt und alte Machtpositionen zurück erobert, erinnert man sich auch in Köln des mutigen "Fritz" Hecker, der sich vom entschiedenen Liberalen zum Republikaner und Radikaldemokraten entwickelt hat und am 12. April 1848 zusammen mit Struve den Aufruf zum bewaffneten Aufstand in Baden erläßt. Die Freiheitskämpfer werden am 20. April 1848 bei Kandern (Süd-Schwarzwald) geschlagen. Hecker muß fliehen und emigriert in die USA, wo er als Oberst auf seiten der Union am Sezessionskrieg teilnimmt. In der deutschen demokratisch-republikanischen Bewegung gibt es unzählige Lieder und Sprüche über Hecker, die zum Teil in direkter, derber Sprache die momentane Niederlage eingestehen, aber nicht verhehlen, daß noch nicht aller Tage Abend ist.

Unser Ich-Erzähler trägt seine Version vom Heckerlied vor.

Daß dieses Lied - wie manch anderes Lied, das er uns singt - fünf Generationen später in der Liedertradition der Brings-Familie lebendig sein wird, kann er natürlich nicht wissen.

Als die Revolution in Wien sich gegen die Heere der Reaktion verteidigen muß, trifft eine Deputation der Linken der Frankfurter Nationalversammlung unter der Leitung Robert Blums am 17. Oktober 1848 dort ein. Robert Blum, einer der führenden linken Abgeordneten des Paulskirchenparlamentes, spricht im Wiener Gemeinderat, im Reichstagsausschuß und in der Wiener Aula vor revolutionären Studenten. Die Situation verändert sich zuungunsten der Wiener Revolutionäre; das kaiserlich-reaktionäre Heer unter der Leitung von Fürst Windischgrätz erstürmt und besetzt die Stadt. Robert Blum, der als Kommandeur des studentischen Elitekorps an der militärischen Verteidigung Wiens teilnimmt, wird verhaftet, vom Standgericht trotz Immunität als gewählter Volksvertreter zum Tode verurteilt und am 9. November 1848 beim Jägerhaus in der Brigittenau bei Wien erschossen. Der Abschiedsbrief, den Robert Blum in der Stunde vor seinem Tode an seine Frau schreibt, wird wenig später bekannt und greift mit seiner schlichten Sprache unserem Chronisten ans Herz. Sein Lied Robert Blum ist von Trauer um den in Köln geborenen Freiheitskämpfer getragen. Revolutionärer Mut und Gefühl gibt es ja schließlich nicht nur - aber auch - in Köln.

Robert Blum erschossen, die Reaktion auf dem Vormarsch, die revolutionären Erhebungen überall (auch im deutschen Südwesten) niedergeschlagen, Fritz Hecker im Asyl: die liberale Bourgeoisie, die größte "Partei" in der Frankfurter Nationalversammlung, hat Teilziele erreicht: Teilhabe an der Regierung und Gesetze, die der Entwicklung kapitalistischer Produktion und Geldwirtschaft dienen. Für diese bürgerlichen Rechte ist viel Demokratenblut auf Barrikaden geflossen. Die demokratisch-republikanische Bewegung sieht klar, daß in Frankfurt ihre Ziele nicht mehr gewollt und erstritten werden. Es läuft auf eine liberale Verfassung mit Erhaltung und Stärkung der Monarchie hinaus - eine "unheilige Allianz", deren Hauptziel die Unterdrückung von radikalen, sozialen Volksbewegungen ist. Sie will Ruhe und Ordnung, um ihre Positionen auszubauen und leugnet damit ihren revolutionären Ursprung in den März-Tagen. Unser Chronist, der Zeitzeuge dieser Entwicklung ist, kommentiert sarkastisch in dem Lied Frankfurter Nationalversammlung , wie dort die im März gewonnene Macht des Volkes vertan, verredet, umgelenkt und verfälscht wird. Auf der Barrikade hat sich das Volk emanzipiert - in den Augen unseres Ich-Erzählers kann diese Befreiung nur auf der Barrikade zurückgewonnen und gesichert werden: Diesmal aber gegen einen Doppelgegner: Thron und Bourgeoisie, ein wahrhaft in die Zukunft greifendes Programm ...

1856, unser Ich-Erzähler ist schon Urgroßvater, bitten ihn seine Enkel, noch einmal von damals zu erzählen: Vom Freiheitsbaum auf dem Neumarkt in Köln, von den revolutionären Märztagen, vom ersten deutschen Parlament und seinem beschämenden Ende Mai / Juni 1849, von der Emigration vieler Demokraten und Freiheitskämpfer, nachdem das alte System wieder die Macht erobert und - zusammen mit der dünnen Schicht der reichen Bourgeoisie - abgesichert hatte, von den Unruhen, Erhebungen und Aufständen in fast allen Ländern Europas nach dem Sieg der Reaktion, die aber alle niedergeschlagen wurden - und von dem seltsamen Mann, der im Pariser Exil das Lied von den Wanderratten  verfaßt hat, denn sie ahnen, daß dies ein prophetischer Text ist, eine Vision, die noch viele Generationen nach ihnen beflügeln oder ängstigen wird, je nach dem ...

Rolly Brings (Dezember 97 / Januar 98)


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